Von Fabian Scheler
Ein millionenschweres Forschungsprojekt widmet sich gerade Fußballfans. Bezahlt vom Bildungsministerium, organisiert von der Polizei. Viele Fans sind misstrauisch.
Wer kürzlich das Spiel des FC St. Pauli gegen den FSV Frankfurt besuchte, wurde am Stadion womöglich zu einer Umfrage eingeladen. Zehn Minuten lang wollten Soziologen der Universität Münster von den Fußballfans wissen, ob sie sich im Stadion sicher fühlen oder wie ihre Anreise verlief. Bei mehr als 20 Vereinen in den obersten drei Ligen horchen Forscher derzeit an der Fanseele.
Dahinter steht das bislang größte Forschungsprojekt, das sich je deutschen Fußballfans gewidmet hat. 3,3 Millionen Euro stellt das Bundesministerium für Forschung und Bildung für die Studie zur Verfügung. Ihr Name: “Mehr Sicherheit im Fußball – Verbessern der Kommunikationsstrukturen und Optimieren des Fandialogs”. Kurz: SiKomFan.
Wer kürzlich das Spiel des FC St. Pauli gegen den FSV Frankfurt besuchte, wurde am Stadion womöglich zu einer Umfrage eingeladen. Zehn Minuten lang wollten Soziologen der Universität Münster von den Fußballfans wissen, ob sie sich im Stadion sicher fühlen oder wie ihre Anreise verlief. Bei mehr als 20 Vereinen in den obersten drei Ligen horchen Forscher derzeit an der Fanseele.
Dahinter steht das bislang größte Forschungsprojekt, das sich je deutschen Fußballfans gewidmet hat. 3,3 Millionen Euro stellt das Bundesministerium für Forschung und Bildung für die Studie zur Verfügung. Ihr Name: “Mehr Sicherheit im Fußball – Verbessern der Kommunikationsstrukturen und Optimieren des Fandialogs”. Kurz: SiKomFan.
SiKomFan ist ein bisher fast unbekanntes Projekt, das viele Gewohnheiten des Fußballalltags reformieren könnte: Die Anreise, die Sicherheitsmaßnahmen im Stadion, das Verhalten der Fans. Seit September 2013 beobachten, befragen und entwickeln die Forscher, 2016 werden die Ergebnisse vorgestellt.
Das Zauberwort: Dialog
Genauso holprig wie der Name ist auch das Ziel formuliert. Auf der Homepage heißt es: “Ziel des Projekts ist es, die Kommunikationsstrategien der an Veranstaltungen aus Anlass von Fußballspielen beteiligten Sicherheitsakteure untereinander zu verbessern und den Dialog mit den Fans zu optimieren.”
So fragen sich nicht nur die ohnehin oft kritischen aktiven Fußballfans: Was soll das eigentlich?
Das Zauberwort ist wohl Dialog. Die Kommunikation zwischen den Fans, der Polizei und den Vereinen soll besser werden. Das Problem: Nicht alle dieser Parteien möchten wirklich miteinander kommunizieren.
Bei den Ultras, den organisierten Fußballfans, sind die Forscher nicht willkommen. Das Ultra-Bündnis ProFans wurde gefragt, ob sie mit SiKomFan zusammenarbeiten wollen. Sie wollen nicht, sind generell skeptisch gegenüber Leuten von außen. Und erst im vergangenen Sommer hatten die Enthüllungen um einen möglichen Spitzel des Verfassungsschutzes, der sich als Fanforscher getarnt haben soll, in der Szene viel Vertrauen zerstört.
Die Zusammenarbeit mir der Polizei ist für Ultras ein Unding
Die Ablehnung der Ultras liegt aber vor allem am Koordinator der Studie. Das sind nämlich nicht unbefangene Wissenschaftler, sondern die Deutsche Hochschule der Polizei in Münster. Für die meisten Ultras ein Unding. Sie mögen die Polizei nicht, vorsichtig ausgedrückt. ProFans meint, es sei kontraproduktiv, dass die Polizei die Studie organisiert.
Das wissen auch die Forscher selbst. Einzelne Fans aus St. Pauli berichten, dass nicht alle Fragensteller komplett offenlegten, für wen sie die Umfrage durchführen. Sie hätten sich lediglich als Vertreter der Uni Münster vorgestellt. Das ist korrekt, verdeckt aber, dass auch die Polizei Informationen abfragt. “Wir haben vor Ort immer Mitarbeiter, die ausführlich über das Projekt und den Hintergrund informieren”, sagt Thomas Dierschke von der Universität Münster. “Wir sind ein wissenschaftliches Projekt, kein Polizeiprojekt.”
SiKomFan besteht aus fünf Arbeitsgruppen, die eigenständig tätig sind. In der ersten koordiniert die Polizei-Hochschule die Arbeit an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis, wie es heißt. Die Soziologen aus Münster arbeiten in der zweiten Gruppe, zusammen mit dem Institut für Fankultur aus Würzburg befragen sie Stadionbesucher und Fanprojekte. In einer dritten Arbeitsgruppe befragen Polizisten der Polizeihochschule die eigenen Leiter der wöchentlichen Stadioneinsätze. In Gruppe vier loten Juristen der Polizei-Uni Spielräume im Polizei- und Zivilrecht aus.
Airbus und die Stadion-App
Brisant ist vor allem die Zusammensetzung der letzten Arbeitsgruppe: Dort entwickelt das Fraunhofer-Institut zusammen mit dem Rüstungskonzern Airbus eine Stadion-App. Mit der sollen künftig Sicherheitskräfte wichtige Informationen abrufen können. Zusätzlich sollen ab 2016 Informationen für Besucher, zum Beispiel Lagepläne, Anfahrtswege und Einlasskontrollen in bestehende Apps von DFL und DFB und den Vereinen eingespeist werden.
Ein Rüstungskonzern in einem Projekt zur Fanforschung? “Die Frage nach der Zusammenarbeit mit einem Partner, der offensichtlich nur am Fan als Sicherheitsrisiko verdienen möchte, beantwortet sich von selbst”, schreibt ProFans. Im Beirat, der das Projekt beraten soll, sitzt neben den Vertretern von DFB und DFL mit Harald Olschock auch der Geschäftsführer des Lobbyverbandes der Sicherheitswirtschaft BDSW.
Interessant für Russland und Katar
Auch Experten, die sich mit dem Projekt auskennen, vermuten, dass vor allem Industriepolitik betrieben werden soll. Die sozialwissenschaftlichem Umfragen seien zwar auch aufschlussreich, der große Profiteur aber sei am Ende Airbus. Mit der App sollen Polizisten und Ordner innerhalb von Sekunden auf dem Smartphone erkennen können, wo es rund um das Stadion Probleme gibt. Das Know-how dürfte auch künftige WM-Ausrichter in Russland und Katar interessieren, ein potenziell gutes Geschäft.
Thomas Kubera, SiKomFan-Projektleiter von der Polizei-Hochschule bestreitet das. Er sieht den Sicherheits-Lobbyisten Olschock als wichtigen Kontaktmann zu den vielen privaten Sicherheitsdiensten in den deutschen Stadien. “Und Airbus wirkt lediglich an der Entwicklung einer Applikation mit, die dem Austausch und der Darstellung von Informationen im Netzwerk der Sicherheitsakteure wie der Bundespolizei, der Landespolizei, den Vereinen und den Kommunen dient”, sagt er.
Anderen macht das Thema Datenschutz Sorgen. Etwa dem Bündnis aktiver Fans (Baff). Auch sie wurden gefragt, ob sie an dem Forschungsprojekt teilnehmen wollen. Auch sie wollen nicht. “Wir befürchten, dass mit der Erfassung der Daten am Ende problemlos nachvollzogen werden kann, wer sich wann wo rund um das Stadion aufhält”, sagt Johannes Hinckeldeyn von Baff. “Ziel könnte es sein, unliebsame Gruppen schon auf der Anreise zu identifizieren.” In Hannover ist so etwas bereits passiert.
Totalüberwachung im Stadion? Solche technischen Anwendungen gibt es schon: Bei den Olympischen Spielen in London 2012 wurden Besucherströme aufgezeichnet. Der Projektleiter Thomas Kubera möchte die Fans beruhigen: “Solch eine automatisierte Echtzeit-Überwachung von Zuschauern wird es bei unserem Projekt nicht geben.”
Der Fan, das unbekannte, fremde Wesen
Die Kritik der organisierten Fans ist aber auch grundsätzlicher. Sie sind schon längst frustriert von Diskussionen mit dem DFB, denen es an “ehrlicher und verlässlicher Kommunikation” mangele, wie es ein Ultra formuliert. Weitere wissenschaftliche Studien lehnen sie deshalb ab. “Wir sind es leid, als unbekanntes, fremdes Wesen behandelt zu werden.” Ultras sind unter Akademikern sowieso gerade hip. In einem von DFB und DFL finanzierten Projekt blicken derzeit Soziologen und Psychologen aus Kassel, Bielefeld und Potsdam auf diese Subkultur, die zu den größten in Deutschland zählt.
Dass die Ultras nicht mitmachen wollen, stört die Initiatoren der Studie kaum. “Wir machen ja kein Ultra-Screening, sondern richten uns an alle Fußballfans”, sagt Harald Lange, einer der beteiligten Professoren vom Faninstitut der Uni Würzburg. Bislang sei die Resonanz der Stadionbesucher durchgehend positiv, sodass man das Projekt erfolgreich abschließen werde, sagen die Forscher. Und Thomas Kubera von der Hochschule der Polizei sagt: “Auch die Angehörigen der Ultragruppierungen sind eingeladen, sich an den Befragungen zu beteiligen. Wenn sie diese Einladung nicht annehmen, müssen sie damit leben, dass man ihre Szenen von außen beschreibt.”
Quelle: Die Zeit, 02. April 2015