Revolutionär für Freunde und Mädchen

Von Christian Helten

Abdo ist Fußball-Ultra und Revolutionär auf dem Tahrirplatz in Kairo. Jakob Gross hat ihn für einen Dokumentarfilm begleitet. Der zeigt, dass es bei einer Revolution oft gar nicht nur um Politik geht.

jetzt.de: Jakob, wenn du in einem Satz erklären müsstest, wer Abdo ist – was würdest du sagen?
Jakob Gross: Ein Mensch, der erwachsen wird und auf der Suche nach sich selbst ist – und der diese Lebensphase mitten in einer Revolution durchlebt.

Dein Film ist aber kein klassisches Porträt eines jungen Rebellen.
Stimmt. Ein klassisches Porträt würde Abdo als revolutionären Helden mit klaren politischen Absichten darstellen. Ich sehe in Abdo aber vielmehr einen jungen Typen, der plötzlich in gesellschaftliche Umbrüche reingeworfen wird. Ich will damit nicht sagen, dass Abdo kein Revolutionär ist. Die Frage ist ja: Kann man sich da überhaupt richtig entscheiden oder ist man einfach eh mittendrin?

Damit stellst du ja letzten Endes auch die Frage, was das überhaupt heißt: ein Revolutionär sein.
Ja, denn dieser Begriff ist natürlich total aufgeladen. Revolutionäre werden oft als altruistisch handelnde Menschen dargestellt, die gegen das böse System kämpfen. Dabei sind die Motivationen auf die Straße zu gehen um einiges komplexer. Abdo zeigt sich zum Beispiel auch als den harten Kämpfer an der Front, um Mädchen und Freunde zu beeindrucken.


War die Revolution für ihn also nur ein Mittel der Selbstinszenierung?
Unter anderem. Es wäre aber falsch zu sagen, er wollte nur den Helden spielen. Abdo hat natürlich auch an die gesellschaftlichen Ziele geglaubt. Vor allem waren Revolution und die Ultras etwas, wo er dazugehören konnte. Er hat sich diesen Gruppen angeschlossen, weil sie ihm Sinn gegeben haben in seinem Leben – Sinn, den er vorher nicht so richtig hatte. Die Revolution brachte ihm neue Freunde, Renommee, Prestige, Mädchen. Es ging nicht nur um Politik. Rumhängen, kiffen, sich ein paar Heavy-Metal-Videos reinziehen, das gehörte genauso zu seinem revolutionären Alltag wie Flyer und Plakate zu basteln und abends noch auf den Tahrir-Platz zu gehen.

Wie hast du Abdo als Protagonisten ausgewählt?
Ich wollte eigentlich einen Film über die Ultras in Ägypten und ihre Rolle in der Revolution machen. Abdo war einer von ihnen. Irgendwann habe ich ihm eine Kamera gegeben. Er war davon sofort total fasziniert, hat sie auf eine fast schon kindliche Art für sich entdeckt und alles um sich herum gefilmt. Die Kamera gab ihm zudem eine besondere Rolle in der Revolution und in seiner Gruppe. Statt einfach nur vorne an der Front zu sein, hatte er plötzlich eine Funktion: Er war der Filmer. Der, der alles festhält und dokumentiert. Und da habe ich langsam verstanden: Eigentlich interessiert er mich viel mehr als die Ultras-Szene. Er und die Frage, was es für einen jungen Menschen bedeutet, in der Revolution erwachsen zu werden.

Welche Rolle hatten die Ultras denn in der Revolution?
Die Ultras waren schon vor der Revolution mit dem Staat verfeindet. Da ging es aber meist darum, ihre Rechte im Fußballstadion zu verteidigen. Als die Revolution losging, waren viele Ultras sehr schnell vorne mit dabei und wurden gewissermaßen zur Speerspitze der Revolution.

Wie ist Abdo zu den Ultras gestoßen?
Abdo hat früher selbst in einer Jugendmannschaft Fußball gespielt. Ich glaube, er ist dann irgendwann reingerutscht und fand das toll. Die Ultras waren eben cool. Später gab es einen richtigen Ultras-Hype: Auf dem Tahrir-Platz boten Verkäufer revolutionäre Artikel wie Fahnen oder T-Shirts an. Am Anfang waren das vor allem Ägypten-Flaggen, aber irgendwann wurden plötzlich auch Fahnen mit Ultra-Motiven verkauft und jeder wollte eine haben – auch wenn er eigentlich gar kein Ultra war. Die Ultras wurden Teil der revolutionären Populärkultur.

Heißt das auch, dass Fußball bei den Ultras gar keine so große Rolle mehr spielte?
Fußball spielte natürlich eine wichtige Rolle. Aber es ging eben auch ums Ultrasein: Banner malen, damit rumposen, wer die größte Fahne hat und so weiter. Als ich mit denen im Stadion war, war es ihnen egal, dass ich keine Ahnung von Fußball habe. Ich als Münchner kannte weniger Spieler vom FC Bayern als sie. Das war aber auch nicht wichtig; wichtig war die Freude und das Gemeinschaftsgefühl, die man im Fußballstadion erlebt. Und damit sind wir wieder bei Abdo: Die Revolution und das Ultradasein im Stadion sind beides Massenphänomene. Beides erzeugt ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und hilft, Aggressionen zu kanalisieren. Beides hat Abdo fasziniert und motiviert.

Warum geht es in deinem Film eigentlich so selten um Politik? Es gibt kaum Szenen, wo Abdo und seine Freunde sich konkret darüber unterhalten.
Das war, glaube ich, ein Grundproblem der ägyptischen Revolution: dass eben niemand wirklich wusste, wo es hingehen sollte. Und ich hatte oft das Gefühl, dass neben politischen Visionen auch andere Motivationen eine große Rolle gespielt haben. Und das war eben mein Ansatz: Nicht die politischen Ereignisse im Blick zu haben, sondern die Frage, was eine Revolution auf der individuellen Ebene bedeutet. Jeder nutzt die Revolution ja auch für sein Leben und versucht, etwas für sich herauszuholen. Das ist auch gar nicht schlimm, das ist zutiefst menschlich.

Stellt man als junger Mensch in Zeiten einer Revolution noch viel mehr in Frage, was man aus seinem Leben macht?
Klar, eine Revolution lässt die Frage, was man aus sich macht und wo man hin will, noch viel größer erscheinen. Es ist zum einen plötzlich vieles unsicher, was davor gesellschaftlich klar vorgegeben war. Es erscheint aber vor allem plötzlich alles möglich. Alle Wege scheinen offen zu stehen.

Und war das wirklich so?
Nicht so sehr, wie viele dachten oder hofften. Die Gesellschaft ändert sich nicht komplett, bloß weil ein Regime abgesetzt worden ist. Die gesellschaftlichen Strukturen bleiben erst mal dieselben. Das sieht man bei Abdo auch. Am Anfang denkt er, er kann jetzt werden, was er will. Dann merkt er: So simpel ist es nicht. Er hat aber die Utopie der vollkommenen Freiheit, die ihm die Revolution gegeben hat, eine Zeitlang gelebt. Und das macht es ihm schwierig, sich davon wieder zu verabschieden.

Was macht Abdo heute?
Er wollte kurzfristig selbst Filmemacher werden und hat auch ein paar Jobs als Kameramann bekommen. Das Problem ist: Abdo fängt viele Dinge an und hat sehr viele Ideen, aber kein gutes Durchhaltevermögen. Sein großer Traum ist es auf jeden Fall immer noch, aus Ägypten rauszukommen.

Quelle: jetzt.de, 07. Mai 2015

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