Polizisten vor dem Weserstadion: Ausschreitungen zwischen linken und rechten Fangruppen Corbis
Von Hendrik Buchheister
Rechte Hooligans prügeln sich mit linken Ultras: Im Umfeld des SV Werder Bremen tobt ein politischer Konflikt. Empörung löst das Vorgehen von Polizei und Staatsanwaltschaft aus.
Valentin bekommt viel Unterstützung in diesen Tagen. Spruchbänder werden gemalt, Graffiti gesprüht. Es gibt ein Lied, das ihm Mut machen soll. “Halt den Kopf hoch, halt die Faust hoch”, heißt es darin. Ein Spendenkonto wurde eingerichtet. Verwendungszweck: Freiheit für Valentin.
Valentin ist ein 21 Jahre alter Fußball-Fan, ein Ultra des SV Werder Bremen. Und ein politisch motivierter Gewalttäter, so sieht es die Bremer Staatsanwaltschaft. Seit Anfang des Monats befindet er sich in Untersuchungshaft. Ihm werden fünf Vergehen angelastet, fünfmal gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung. Bei der Gegenveranstaltung zu einer NPD-Demonstration soll er einen Stein geworfen haben, er soll einen Mann angegriffen haben, der eine Jacke der bei Neonazis beliebten Marke Thor Steinar trug, dreimal wurde er angeblich bei Werder-Spielen auffällig, zuletzt beim Derby gegen den Hamburger SV im April.
Das Spiel beschäftigt die Bremer Öffentlichkeit immer noch und mittlerweile auch die Staatsanwaltschaft. Grund sind heftige Ausschreitungen vor dem Stadion. Rechte Bremer Hooligans hatten offenbar Bremer Ultras angegriffen. Diese verstehen sich überwiegend als links, als antifaschistisch und antirassistisch. Bei dem anschließenden Versuch, eine Kreuzung zu räumen, sollen Polizisten die Ultras den Hooligans in die Arme getrieben haben. Die Polizei bestreitet das. Es gibt ein Video, auf dem zu sehen ist, wie mehrere Ultras auf einen Mann losgehen, auch Valentin soll auf dem Video zu sehen sein.
Fragt man Ultras und das Fanprojekt, zeigt das Video nicht alles – die Auseinandersetzung sei von den Hooligans angefangen worden. Deshalb ist die Empörung groß bei den Ultras, dass Polizei und Staatsanwaltschaft einen der ihren als Hauptverdächtigen vorführen, keinen der Hooligans. Der Vorwurf lautet, dass Täter und Opfer vertauscht würden.
Oder, wie es jemand von den Ultras ausdrückt, der anonym bleiben möchte: “Die Polizei hat nichts Besseres zu tun, als diejenigen zu kriminalisieren, die für demokratische Werte ihren Kopf hinhalten.” Das erklärt die Solidarität, die Valentin in diesen Tagen erfährt, vor allem aus dem linken Lager.
“Wir halten das Vorgehen für übertrieben”
Nicht nur die Ultras haben den Eindruck, dass die Ermittler ein Exempel statuieren wollten. Dass sie zeigen wollten, dass man hart durchgreife gegen Gewalt beim Fußball. “Wir halten das Vorgehen für übertrieben, zumal der Betroffene aus unserer Sicht noch ein Jugendlicher ist”, sagen Thomas Hafke und Daniel Behm vom Bremer Fanprojekt über die Inhaftierung des 21 Jahre alten Valentin.
Das Fanprojekt macht sozialpädagogische Arbeit mit jungen Fans und hat einen guten Draht zu den Ultras. Behm und Hafke berichten, dass sie von rechten Hooligans bedroht würden. Nach den Ausschreitungen beim Spiel gegen den HSV seien Fotos und Steckbriefe von ihnen im Internet aufgetaucht. Deshalb sprechen sie lieber zusammen.
Der Konflikt zwischen Rechten und Linken im Umfeld des SV Werder hat eine Vorgeschichte, in der Polizei und Staatsanwaltschaft eine zweifelhafte Rolle spielen. 2007 überfielen Hooligans eine Feier von Bremer Ultras. Erst viereinhalb Jahre später kam es zum Prozess, die Täter kamen mit geringen Geldstrafen davon. Das sanfte Vorgehen gegen die Hooligans sei “schon auffällig”, sagen die Fanprojekt-Mitarbeiter Hafke und Behm. Damals habe es keine Hausdurchsuchungen gegeben, keine Untersuchungshaft. Anders als im aktuellen Fall. Der Bremer Ultra wird noch deutlicher: “Polizei und Politik haben komplett versagt. Sie hätten den Konflikt frühzeitig entschärfen können, indem sie den Hooligans etwas entgegensetzen.” Das Verhältnis zwischen Fanprojekt und Ultras auf der einen und Polizei und Staatsanwaltschaft auf der anderen Seite hat einen Tiefpunkt erreicht.
Wie schlecht die Beziehung ist, verdeutlichen auch die Worte von Frank Passade, dem Sprecher der Staatsanwaltschaft. Er verweist darauf, dass die Ultras 2007 nicht bereit gewesen seien, mit den Ermittlern zusammenzuarbeiten. Nur schwer seien Täter zu identifizieren und der Hergang der Tat zu rekonstruieren gewesen. “Von daher ist es ein Stück weit eine Frechheit, Vorhaltungen zu machen, dass es das damals auch nicht gegeben habe”, sagt Passade. Er weist den Ultras die Schuld dafür zu, dass seinerzeit nicht härter gegen die rechten Angreifer vorgegangen werden konnte.
Der Sprecher der Staatsanwaltschaft wehrt sich gegen den Vorwurf, die Behörden würden ein Exempel statuieren mit der Inhaftierung von Valentin. Es gehe nicht darum, ob der Beschuldigte politisch links, rechts oder in der Mitte stehe, sondern alleine darum, dass er ein Gewalttäter sei.
Genau an dieser Haltung stören sich die Ultras und das Fanprojekt. Die Behörden würden den Eindruck erwecken, in Bremen spiele sich ein Konflikt zwischen gewalttätigen Fußballfans ab, zwischen Leuten, denen es ohnehin nur um Randale gehe. “Dabei ist es wichtig, den Kontext der Auseinandersetzungen zu verstehen und auch zu kommunizieren”, sagen Hafke und Behm vom Fanprojekt.
Und der sei definitiv ein politischer.
Quelle: Spiegel Online, 17. Juli 2015