twy Osnabrück. In seinem Buch „Kurvenrebellen: Die Ultras – Einblicke in eine widersprüchliche Szene.“ vermittelt der freie Journalist Christoph Ruf Einblicke in die Ultraszene und stellt ihr schlechtes Image auf den Prüfstand. Am Mittwoch ist er zu einer Lesung im Osnabrücker Haus der Jugend zu Gast. Mit uns sprach er über sein Buch, die Ultras, sowie die jüngsten und zukünftigen Entwicklungen in der Ultraszene.
Wie sieht normalerweise das Publikum bei Ihren Lesungen aus? Kommen auch Menschen, die mit der Fanszene nicht viel oder nichts zu tun haben?
Das Publikum ist ganz unterschiedlich. Da kommt es auf den Veranstalter an. Ich habe zum Beispiel eine Lesung in Magdeburg gehalten, die vom Fanprojekt veranstaltet wurde, wo daher fast nur Leute aus der Fanszene waren, also Ultras und andere Fans. Fußballinteressiert sind aber normalerweise alle Zuhörer. Nur einmal war jemand dabei, der das Wort „Ultra“ nur aufgeschnappt hatte und sich darüber informieren wollte. Man könnte sagen: Es kommen Fußballinteressierte von 20 bis 70.
Werden externe vielleicht auch durch das negativ behaftete Wort „Ultra“ abgeschreckt?
Das kann schon sein. Die Zuhörer sind auch meistens Stadiongänger. Ich glaube, dass es bei dem Bild, dass man von Ultras hat, auch darauf ankommt, wie oft man ins Stadion geht. Aber es kommen auch Menschen, die ein negatives Bild von Ultras haben. Deswegen wird bei den Lesungen durchaus kontrovers diskutiert.
Welche Reaktionen haben Sie auf das Buch bekommen?
Ich glaube, ich habe für „Kurvenrebellen“ von meinen Büchern bisher das positivste Feedback bekommen. Aber das ist wahrscheinlich wie bei einer Band, die ihr neustes Album am besten findet. Viele haben gesagt, dass das Buch sehr nah an der Realität ist. Häufig habe ich aber auch den Begriff „fair“ gehört. Sicher müssen sich die Ultras Kritik gefallen lassen, aber ich habe auch deren Sicht dargestellt und über ihre positiven Aktionen berichtet. Genauso habe ich bei der Situation zwischen Ultras und Polizei versucht, beide Seiten darzustellen und keine Partei zu ergreifen.
Sie haben direkt mit Ultragruppen gesprochen. Diese gelten aber Journalisten gegenüber als nicht sehr offen eingestellt. Wie haben Sie den Kontakt hergestellt?
Zu einigen Gruppen hatte ich bereits vorher Kontakt. Bei anderen war der Türöffner der Kontakt zum jeweiligen Fanprojekt. Meistens habe ich ganz banal über die Homepage der Gruppen angefragt. Daraufhin waren viele bereit, mein Anliegen anzuhören und zuerst ein Treffen zu vereinbaren. Es gab aber auch Gruppen, die auf meine Anfrage nicht reagiert haben, wie in Dresden oder Rostock.
Ihr Buch ist vor fast zwei Jahren erschienen. Haben Sie seitdem Veränderungen beobachtet?
Die Politisierung in der Fanszene ist fortgeschritten. Viele Fankurven positionieren sich zum Beispiel zur Flüchtlingsfrage oder haben sich zuletzt klar gegen die Bild-Aktion und deren vorherige Berichterstattung zur Flüchtlingspolitik positioniert. Insgesamt hat die Politisierung schon zugenommen. Ansonsten habe ich den Eindruck, dass sich in manchen Städten junge Ultras zunehmend langweilen und daher den Kick zum Beispiel im Fahnenklau oder sinnloser Gewalt suchen. Ich denke, dass die Szene in der letzten Zeit an den Rändern ein bisschen abgedriftet ist.
Die Fronten zwischen den Ultras und den anderen beteiligten Parteien, vor allem der Polizei, sind sehr verhärtet. Fällt Ihnen eine Idee ein, wie man in dieser Problematik zu einer Lösung kommen könnte?
Nein, mir auch nicht. Die Frage habe ich auch im Buch bewusst offen gelassen. Das Verhältnis von Ultras zu Journalisten ist besser und offener geworden und gruppenintern werden Gewaltfragen thematisiert und diskutiert. Das Verhältnis zur Polizei erscheint mir momentan rettungslos, da sich beide Seiten nicht aufeinander einlassen. Bei Ultras gilt der Grundsatz, nicht mit der Polizei zu reden. Das „nicht reden“ ist dabei oft auch nur Teil der Selbstinszenierung. Aber ich denke, es ist albern, nicht miteinander zu reden. Es gibt auch durchaus vernünftige Polizisten, mit denen man als Ultra in den Dialog treten kann, ohne direkt zum „Kuschelfan“ zu werden.
Wie glauben Sie, geht die Entwicklung der Fanszene weiter?
Das ist wirklich ein schwieriger Fall. Ultras sagen, dass sie zu wenig gehört werden, aber haben auch noch Erfolge. Wie zum Beispiel die Dortmunder, die dagegen protestiert haben, dass das günstigste Sitzplatzticket in Hoffenheim 55 Euro kosten sollte und darauf reagiert wurde. [Anm. d. Red.: Die TSG Hoffenheim erklärte, die Mehreinnahmen für ein Flüchtlingsprojekt zu spenden] Das ist durchaus noch ein Erfolg, da haben die Ultras recht. Oft ist es ja so, dass die Ultras nur laut aussprechen, was auch andere Fans denken. Viele aktive Fans sind aber auch der Meinung, dass das Schönste bereits hinter uns liegt. Die Kommerzialisierung im Fußball wird wohl fortschreiten, sodass mittlerweile viele Ultras denken: „Die brauchen uns nicht mehr“. Die Ultras können die Kommerzialisierung wahrscheinlich nicht aufhalten, aber vielleicht etwas verlangsamen.
Zur Sache
Die Ultraszene ist eine, die polarisiert und für viele Diskussionen sorgt. In seinem Buch „Kurvenrebellen: Die Ultras – Einblicke in eine widersprüchliche Szene“ hat sich Journalist Christoph Ruf mit diesem kontroversen Thema beschäftigt und das schlechte Image der Ultras auf den Prüfstand gestellt. Zur Recherche hat der Träger des Deutschen Fußball-Kulturpreises 2008, der sich seit Jahren mit der Fanszene beschäftigt, mit verschiedenen Ultragruppen aus ganz Deutschland gesprochen. Bei der Darstellung der Situation legt er viel Wert auf Neutralität. Für Ruf, der in Hamburg und Toulouse Politikwissenschaften, Französisch und Geschichte studiert hat, war „Kurvenrebellen“ 2013 bereits die sechste Buchveröffentlichung. Seine journalistische Laufbahn begann Ruf als Redakteur für Sport und Politik in Freiburg. Danach arbeitete er auch für spiegel-online und das Fußball-Magazin „Rund“. Seit 2009 ist er als freier Journalist tätig. Am Mittwoch um 20 Uhr veranstaltet das Fanprojekt des VfL Osnabrück im Haus der Jugend eine Lesung mit dem Autor.
Quelle: Neue Osnabrücker Zeitung, 29. September 2015