Von Michal Pilz
Es war wieder ein Deutscher. Mario Gomez dürfte Recep Tayyip Erdogan den Fußballabend mit seinen zwei Toren gegen Bursaspor verleidet haben. Gomez stürmt als Söldner für Besiktas, den Verein in Istanbul, dessen Gefolge für den Präsidenten noch weniger übrig hat als für jeden, der Fenerbahçe oder Galatasaray für eine geistige Heimat hält.
Als Erdogan das neue Stadion von Besiktas einzuweihen hatte, kam er einen Tag vor dem Eröffnungsspiel. Vor leeren Rängen schritt er hoheitsvoll über den Rasen, führte einen Anstoß aus und ließ sich feiern. Er trug einen Fanschal von Besiktas. Zum Spiel selbst, am nächsten Abend gegen Bursaspor, waren die Ultras in entsprechender Stimmung. Es kam, wie es immer kommt, sobald der Staat sich vor dem Stadion dann noch allzu herrisch auf sein Monopol beruft, Gewalt zu demonstrieren. Eskalieren, Einkesseln, Verhaften. Wasserwerfer. Tränengas.
Die Carsi sind damit vertraut. Den Ultras von Besiktas tritt die Polizei seit den Ereignissen vom Gezi-Park noch feindseliger und energischer entgegen. “Carsi sind gegen alles außer Atatürk”, sagen die Carsi. Sie sind auch dagegen, dass alles, was allen gehört, in Geld für wenige verwandelt wird.
Wer sind hier die Kriminellen?
Die Wut auf Erdogan gehört zum Rüstzeug der Carsi, der Ultras von Besiktas Istanbul. Von ihnen wurden die Aufstände am Gezi-Park angeführt. Jetzt haben sie ein neues Stadion und den alten Krieg.
Der Gezi-Park, auf dem entweder sie oder die anderen der albernen Vereine ihre Siege feierten, wo Menschen sich auch an normalen Tagen trafen, sollte einem Einkaufszentrum weichen. Widerständler bauten ihre Zelte auf, die Bulldozer rissen die Zelte wieder ein. Die Polizei räumte den Park, die kampferprobten Carsi rückten an und mit ihnen die anderen aus Galata und Fener, die sich einmal nicht aufs Blut bekämpften. Alle zogen gegen Erdogan, der sie “Capulcu” (Deutsch: Pack) nannte, als “Istanbul United”. Sie riefen: “Hurra! Hurra! Das Pack ist wieder da!” Der Staat war zwar am Ende stärker, seine Gegner wurden dafür umso mächtiger. Sämtliche Carsi, die man lebenslänglich inhaftieren wollte, mussten freigesprochen werden.
Erdogan wird wieder von Chaoten sprechen und von sogenannten Fans, die unseren schönen Fußball ruinieren. Als ginge der Fußball durch ein brennendes Bengalohölzchen oder einen Schmähgesang kaputt und nicht durch all das, was die Ultras erst zu dem gemacht hat, was sie sind: die vielleicht letzte Subkultur. Sie wächst und blüht, seit den Vereinen und Verbänden irrwitzige Geldsummen zufließen wie der süße Brei im Märchen, aus dem Fernsehen und von Investoren, und es ist kein Wunder, wenn inzwischen aller Widerstand vom Fußball ausgeht. Kriminelle Funktionäre gibt es mehr als kriminelle Fans.
Die Carsi mussten, als ihr neues Heim gebaut wurde, ins Recep-Tayyip-Erdogan-Stadion ausweichen. Jetzt haben sie ihre eigene Vodafone-Arena.
Quelle: Die Welt, 12. April 2016