Von Alexander Schneider
Der Prozess begann am Landgericht Dresden, nun hat der BGH erstmals Fußball-Schläger als kriminelle Vereinigung verurteilt. Mit Folgen für den „bundesweiten Spielbetrieb“.
Irgendwie fühlen sich alle als Sieger. Die Angeklagten, ihre Verteidiger, selbst die Richter und der Staatsanwalt. Nach einem ebenso langen wie spektakulären Prozess am Landgericht Dresden bestätigte nun der Bundesgerichtshof in Karlsruhe (BGH) den Schuldspruch gegen eine Dresdner Hooligangruppe in wesentlichen Punkten. Die Angeklagten dürften erleichtert sein, weil es für sie nicht so dicke kam wie befürchtet; das Gericht und die Staatsanwaltschaft, weil der BGH ihrer Auffassung folgte und selbst einvernehmliche Hooligan-Kämpfe, auch solche fernab der Öffentlichkeit, erstmals als Straftat qualifiziert.
Die Polizei kann mit diesem BGH-Urteil nun überall in Deutschland gegen Hooligans wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ ermitteln, wenn sie dem Verdacht solcher konspirativen Wettkämpfe nachgeht. Dabei ermöglicht der oft als Schnüffelparagraf kritisierte Paragraf 129 des Strafgesetzbuchs deutlich mehr als in „üblichen “ Fällen von Körperverletzung: Telefonüberwachungen, Funkzellenabfragen, Observationen, dem Einsatz verdeckter Ermittler und dergleichen mehr.
Spott über den „Dresdner Weg“
Staatsanwalt Ingolf Wagner, der seit 2008 gegen die Hooligans ermittelt hat, ist stolz auf seinen Erfolg. Er spricht bei den illegalen Hooligan-Schlägereien von einem „bundesweiten Spielbetrieb“, der sich nun leichter bekämpfen ließe. Der 54-Jährige hatte die Anklage verfasst und sie in dem 20-monatigen Gerichtsprozess vertreten. Man könnte auch sagen: Er hat seine Anklage verteidigt. Viel Spott hatte er dabei zu ertragen. Die Häme kam nicht nur wortgewaltig vorgetragen von den zehn Verteidigern der Angeklagten. Sie kam auch von anderen Staatsanwälten im Land, die sich mal mehr und mal weniger laut über den „Dresdner Weg“ wunderten, Hooligans mit einem sogenannten Strukturverfahren so aufwendig zu verfolgen. Ihr Tenor: „Dabei kommt doch nichts heraus.“ Weit gefehlt. Jetzt haben sie es alle schriftlich: Hooligan-Prügeleien müssen laut Wagner ab jetzt verfolgt werden.
Ohne dass es bislang besonders wahrgenommen wurde, hat die sächsische Justiz mit diesem aufwendigen Verfahren Rechtsgeschichte geschrieben. Im Dezember 2009 fand eine Razzia bei mehr als 40 mutmaßlichen Mitgliedern der sogenannten „Hooligans Elbflorenz“ statt. Der Prozess gegen fünf angebliche Anführer begann im August 2011 vor der Staatsschutzkammer des Landgerichts Dresden unter dem Vorsitzenden Richter Peter Lames. Nach 93 Sitzungstagen wurden alle Angeklagten verurteilt – im April 2013. Anfang März dieses Jahres veröffentlichte der BGH sein Revisionsurteil vom 22. Januar.
Die Angeklagten hätten eine kriminelle Vereinigung gebildet, deren Zweck es gewesen sei, solche „Matches“ zu organisieren, argumentiert der BGH. Diese Kämpfe, auch wenn sie kaum länger als eine Minute dauern, sind sittenwidrig. Man könne nicht in Schlägereien einwilligen, an denen mehr als zwei Kämpfer teilnehmen. Hooligans treten gerne auch mit jeweils 25 Mann oder mehr pro Team gegeneinander an. Zu groß sei die Gefahr gruppendynamischer Gewalteskalationen. Damit hat der Strafsenat seine eigene Rechtsprechung geändert. Erst wenige Jahre zuvor hatte Karlsruhe in einem Stuttgarter Hooligan-Verfahren die Strafbarkeit solcher Prügeleien noch verneint.
Anlass für das Ermittlungsverfahren gegen die „Hooligans Elbflorenz“ war jedoch kein Kampf auf der grünen Wiese, sondern der spektakuläre Überfall auf türkische Dönerläden in der Dresdner Neustadt. Im Juni 2008 hatten etwa 80 vermummte Schläger drei Geschäfte demoliert, mehrere Menschen verletzt und hohen Schaden verursacht. Der von einem der nun verurteilten Hooligans geplante und vorbereitete Angriff fand nach dem EM-Halbfinale Deutschland – Türkei statt. Es mag Ironie der Geschichte sein, dass dieser Überfall nun keine maßgebliche Rolle in dem BGH-Urteil spielt. Karlsruhe wäre auch mit weniger zufrieden gewesen: Allein die einvernehmlichen „Kämpfe“ hätten für den Nachweis des kriminellen Zwecks genügt. Der Dönerüberfall war keine alleinige Angelegenheit der „Hooligans Elbflorenz“.
Überraschende Versetzung
Ohne Schuldspruch für die Planung der Dönerüberfälle können drei der fünf Angeklagten nun deutlich mildere Strafen bekommen. Sie müssen sich daher einem neuen Prozess am Landgericht Dresden stellen. Darunter auch die Hauptbeschuldigten: Rädelsführer Yves L. (39), der in erster Instanz zu vier Jahren verurteilt worden war, und Thomas R. (38), der zwei Jahre und neun Monate erhalten hatte. Die nicht vorbestraften Männer, langjährige Hooligans, hoffen auf bewährungsfähige Freiheitsstrafen unter zwei Jahren.
Ihre Verteidiger – sie hatten Freisprüche gefordert – sehen das zwar als Erfolg. Dennoch nennt etwa L.s Anwalt Martin Wissmann das BGH-Urteil „eine Art Gesinnungsstrafrecht“: Es sei der Versuch, Hooligan-Wettkämpfe als gesellschaftlich nicht erwünschtes Phänomen „von den Straßen zu beseitigen“. R.s Verteidiger Endrik Wilhelm legte gestern im Namen aller fünf Angeklagten Beschwerde gegen das BGH-Urteil beim Bundesverfassungsgericht ein. Sie kritisieren unter anderem die Feststellungen zur Sittenwidrigkeit. Die langwierige Sache ist noch nicht ausgestanden.
Staatsanwalt Wagner wird das Ergebnis nur noch als Beobachter verfolgen können. Kurz nach Veröffentlichung des BGH-Urteils wurde er überraschend aus der Staatsschutzabteilung versetzt, nach elf Jahren. Seine Hartnäckigkeit in der Verfolgung krimineller Vereinigungen, einer sehr speziellen Kriminalitätsform mit oft politischer Relevanz – darunter Nazi-Kameradschaften und linksextremistische Gruppen – ist offenbar nicht mehr gefragt. Behördensprecher Lorenz Haase nannte die Versetzung Wagners einen „üblichen Vorgang“. Es habe in der Staatsanwaltschaft etwa sechs ähnliche Rotationen zum jetzigen Quartalswechsel gegeben.
Quelle: Sächsische Zeitung, 10. April 2015