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Çarşı – Wir sind gegen Alles → footballuprising
Fotos: Gezi-Park-Revolte, Istanbul, Juni 2013 → footballuprising
Von Ralf Heck (Text und Fotos)
Lebenslänglich Knast wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung und Putschversuchs. So lautet zumindest die aktuelle Anklage der unter den Fittichen des Erdoğan-Regimes stehenden Staatsanwaltschaft gegen 35 Mitglieder der Istanbuler Supportergruppe Çarşı aufgrund ihrer Beteiligung an der Gezi-Park-Revolte im Sommer 2013. Und sie stellen damit keine Ausnahme dar. Durch die mehr als 90 eingeleiteten Verfahren, in denen knapp 6000 Menschen – teils unter abstrusen Vorwürfen bis hin zu „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ – angeklagt wurden, folgt die Rache eines autoritären Systems auf die wochenlang andauernden Proteste nicht unbedeutender Teile der Gesellschaft.
Besonders die Verfahren gegen Aktivisten des Protest-Koordinationsrates der Taksim-Solidarität und von Çarşı können dabei durchaus als geschickter Schachzug der Regierung gewertet werden, die diesen allgemein-gesellschaftlichen Aufstand, an dem sich mehr als eine Million Menschen beteiligten, so zum Werk einer putschistischen Bande von Verschwörern umzudeklarieren versucht. Ursprünglich als Unterstützergruppe für den Verein Beşiktaş Istanbul gegründet, steht diese Fanvereinigung, zumindest nach 1993, für weit mehr, als man es gemeinhin von Fußballanhängern erwarten würde. Seit vielen Jahren sind sie fester Bestandteil der 1. Mai-Demonstrationen, kritisieren den Rassismus in der türkischen Gesellschaft, standen den Erdbebenopfern in Izmit wie auch den Bergarbeitern beim Grubenunglück in Soma tatkräftig zur Seite und melden sich auch in anderen Angelegenheiten immer wieder lautstark zu Wort, beispielsweise gegen Tierversuche, Frauenunterdrückung, den Irak-Krieg und Atomenergie. Aufgrund des eingekreisten „A“ in ihrem Namen werden sie fälschlicherweise auch immer wieder als Anarchisten tituliert, doch obwohl sich ein nicht unbedeutender Teil tatsächlich so definiert, ist das politische Spektrum wesentlich breiter gefächert, was sich dann auch deutlich in ihrem Schlachtruf zeigt, den die einen mit „Wir sind gegen alles!“ angeben, ein anderer, größerer Teil jedoch um den Zusatz „Alles außer Atatürk“1 ergänzt. Ein Çarşı-Ultra beschreibt die politische Haltung wohl am besten: „Wir sind die einzigen sozialdemokratischen Anarchisten der Welt“.
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