Veranstaltung: Zwischen Eigentor und Aufstand: Ultras in den gegenwärtigen Revolten

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Die Veranstaltung findet am Samstag, den 04. Juni 2016 um 12:00 Uhr in Berlin im Mehringhof statt.

Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft stellen die Zeitschrift kosmoprolet vor und besprechen speziell den Text darin: “Zwischen Eigentor und Aufstand: Ultras in den gegenwärtigen Revolten.”

Im letzten Zyklus der Kämpfe betrat eine neue Kraft die Bühne: Organisierte Fußballfans waren an vielen Aufständen rund um den Globus beteiligt; beispielsweise in Tunesien, Ägypten, der Türkei und der Ukraine. Die Ultras nahmen an den Riots teil, ihre Lieder stifteten eine Einheit unter den Protestierenden und im Falle der Gezi-Park-Bewegung organisierte die Supportergruppe Çarşı die ersten Nachbarschaftsversammlungen. Ultras traten jedoch nicht nur bei fortschrittlichen Bewegungen hervor, sondern auch als nationalistische Schlägertrupps, wie am Beispiel der Maidan-Proteste in der Ukraine zu sehen war. Auf der Veranstaltung soll geklärt werden, wie dieser oft im besten Fall als völlig unpolitisch oder kommerzabhängig bewertete Akteur entstehen konnte und wie sein Wirken in den gegenwärtigen Unruhen einzuschätzen ist.

Zum Programm

Stadion, Küche und Stadt

Von blusenmetertor

In Buchhandlungen und Infoläden liegen ja immer linke Publikationen rum, die Mehrheit unregelmäßig und in Kleinauflage erscheinende. Zum ersten Mal gesehen habe ich kürzlich Kosmoprolet, ein handlicher Band, auf dem Titel die Zahlen (#)4, 5(€) und 6(CHF).

Die Autor/innen analysieren im Editorial (und weiter hinten im Band) die Erpressung der griechischen Linksregierung durch die EU und das Verhältnis der radikalen Linken zu Staatsmacht und Kapitalismus am Beispiel Syriza. Interessanter (und fairer) fand ich den Aufsatz “Abseits des Spülbeckens”, einen Vergleich und eine Kritik der feministischen Standpunkte von Silvia Federici (“Aufstand in der Küche”) und der Operaistin Mariarosa Dalla Costa.kosmoprolet Es geht um Lohn für Hausarbeit, Streik in der Küche und was das alles mit dem Chef des lohnabhängig beschäftigten Mannes zu tun hat. Man lernt aber auch Dinge aus Randbemerkungen, etwa dass man in Argentinien sein Geschlecht wählen darf und dass Schweden erwägt, Paare zu einem 50/50-Bezug der Elternzeit zu zwingen.

Am besten gefallen hat mir Ralf Hecks sehr instruktiver Beitrag zu “Ultras in den gegenwärtigen Revolten”. Heck blättert eine kurze Geschichte des Fußballs und seiner Fankultur auf, zeichnet den Weg vom Eliten- zum Massensport in England nach und den damit einhergehenden Wandel des Publikums. Pauperisierte junge Männer bilden Hooligangruppen, die in den 60ern und 70ern auch gern Skinhead- oder Dandykluft (“violence and style”) tragen und mit gegnerischen Gruppen um die Vorherrschaft in Stadion und Stadt kämpfen. Hooligans unterstützten laut Heck zum Teil aber auch soziale Revolten und trugen club- oder verbandsintern etwa zu mehr Demokratie und weniger Kommerzialisierung bei. Heck betont (fast schon zu oft), er wolle die Hooligans keineswegs romantisieren. Ebensowenig die italienischen Ultras, die von Beginn weg (Anfang der 70er) eng verzahnt mit der Linken waren, besonders mit Lotta Continua. Bald setzt in England und Italien aber die (teilweise Selbst-)Demontage organisierter Fangruppen ein. Als jüngste Beispiele politischer Betätigung von Ultras schaut Heck nach Ägypten, in die Türkei und in die Ukraine. Heck prognostiziert, dass Ultras auch in künftigen sozialen Revolten mitmischen werden.

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Zwischen Rebellion und Affirmation, oder: Ultras sind politisch und auch wieder nicht

derpassVon Stefan Erhardt (Der Tödliche Pass Heft 79)

Ein Gespräch mit Ralf Heck, dem Betreiber des Blogs „footballuprising“

Seit knapp zwei Jahren gibt es den Blog „footballuprising“ – darin finden sich äußerst lesenswerte Analysen und Reflexionen vor allem zur politischen Wirkweise von Fußballfans, speziell von Ultra-Gruppierungen, die nicht nur in Europa, sondern auch darüber hinaus agieren.

Allerdings geht es nicht um Glorifizierung oder Rechtfertigung, sondern um differenzierte Meinungen und Berichte, etwas, das im Zusammenhang mit Ultras nicht immer zu finden ist, im Gegenteil: Allzu schnell hat sich in den Mainstream-Medien das Bild von den sich selbst feiernden, eine gewisse rebellische Attitüde zelebrierenden, vor allem aber auf Fun oder Krawall aus seienden Die-Hard-Fans geformt und verfestigt. Mit der entsprechenden Abneigung gegenüber dem Auftreten dieser Gruppen – das bisweilen durchaus eine gewisse Arroganz zu zeitigen scheint. Vielleicht aber nur der Versuch ist, eine bestimmte Sicht auf den Fußballsport zu befördern?

Ausgangspunkt für „footballuprising“: die Beteiligung von Fußballfans an den weltweit stattfindenden politischen Protesten und Aufständen. Bilder aus Istanbul oder Kairo sind politisch interessierten LeserInnen sicherlich noch vor Augen – Bilder von Fangruppen, die Proteste gegen Regierungen und Polizeigewalt unterstützten, die tatsächlich in solchen Momenten mehr einer Bürgerbewegung glichen denn einer Blase von Fußballfans.

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Wir Wohlstandsultras

 

Von Ricordate

GELESEN

Wir Wohlstandsultras

Anmerkungen zu Ralf Hecks „Zwischen Eigentor und Aufstand. Ultras in den gegenwärtigen Revolten“

Einleitung

– zu Beginn 3 Zitate die bereits zum Nachdenken anregen: Nanni Balestrini, bei uns bekannt durch die Ultrà-Pflichtlektüre I furiosi, benennt das alte Laster der Intellektuellen, für die das soziale Subjekt schön, gut und wohlerzogen sein muss. Hm. Ist das noch so? Als Entgegnung fällt mir zwar der Intellektuelle Pasolini und seine Solidarisierung mit dem italienischen Proletariat ein (wozu für ihn auch Polizisten gehörten), aber eben auch zig mehr oder weniger Intellektuelle, die tatsächlich immer etwas von oben herab über – Betonung auf „über“ – diejenigen reden, zu denen sie forschen oder die statt ihrer die Revolution machen sollen.
Im 2. Zitat äußert sich 1982 der damalige Anführer der Roma Ultras über die Ähnlichkeit miteinander verfeindeter Ultras und die potentielle Möglichkeit, eines Tages miteinander vereint zu kämpfen. Tja. Würden wir das beherzigen, hätten Fußballverbände und Politik nicht soviel Macht über uns.
Das 3. Zitat stammt von einem der Ultras White Knights, der 2012 erklärte, dass er den Fußballhooliganismus für eine größere Sache, nämlich die Revolution vernachlässigt habe und damit nicht der Einzige sei. Bei so etwas frage ich mich immer, wie wir in einer ähnlichen Situation handeln würden. Aber wir würden nicht handeln. Wir würden wie immer vor lauter Diskutiererei und Grabenkämpfen zu nix kommen.

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Interview: Lieder der Revolte

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Von Florian Nussdorfer

Fußball ist Fußball und Politik ist Politik? Von wegen: In zahlreichen Ländern der Welt beteiligen sich Fußballfans und Ultras aktiv an Aufständen und Revolten. Der Blogger Ralf Heck hat sich intensiv mit dieser Thematik befasst und war unter anderem während der Gezi-Park-Proteste in Istanbul. Wir sprachen mit ihm.

Ralf, du hast dich intensiv mit der Beteiligung von Ultras an weltweiten Aufständen beschäftigt. Welche Beispiele gibt es für solch ein aufständisches Mitwirken von Ultra-Gruppierungen?
Da gibt es so einige: Angefangen vom Jahr 2008 bei der Dezemberrevolte in Griechenland bis hin zu den Unruhen in Bosnien-Herzegowina im Februar letzten Jahres konnte man eine große Beteiligung von Ultras beobachten. Darüber hinaus haben bei den Occupy-Protesten in Israel 2011/12, die sich vor allem gegen steigende Mieten richteten, die Ultras von Hapoel Tel Aviv mitgemischt. Recht berühmt für die Beteiligung von Fussballfans dürfte sicherlich auch der Aufstand in Tunesien sein, der ja als Anfang des arabischen Frühlings gilt und letztendlich eine ganze Welle weiterer Erhebungen in anderen Ländern ausgelöst hat. Dort haben Oppositionsgruppen im Vorfeld der Revolte Kontakt zu den Ultras aufgenommen, weil diese im Kampf gegen die Polizei erfahren waren. Die prominentesten Beispiele sind aber sicherlich die Aufstände in Ägypten, der Türkei und jene in der Ukraine, letzteres jedoch eher im negativen Sinn.

Inwiefern?
In der Ukraine haben die Ultras auch eine besondere Rolle gespielt, insbesondere bei den militanten Auseinandersetzungen mit der verhassten Polizei. Leider war die dortige Revolte, die sich gegen ein zutiefst autoritäres Regime richtete, eher reaktionär und nationalistisch geprägt. Zwar haben über 30 Gruppen aus den drei ersten Ligen ein Friedensabkommen geschlossen, um sich gemeinsam am Widerstand gegen das Regime zu beteiligen – unter anderem die Ultras von Dynamo Kiew, die Banderstadt Ultras aus Lwiw aber auch jene aus dem Osten des Landes. Allerdings haben sich viele Ultras dem Rechten Sektor und anderen nationalistischen Gruppen angeschlossen. Auch bei dem Angriff auf das Gewerkschaftshaus in Odessa, bei dem viele Menschen ums Leben kamen, waren sie zahlreich vertreten. Momentan organisieren Teile der Ultras die nationale Mobilmachung in den zahlreichen Rekrutierungszentren für den Bürgerkrieg im Osten.

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Radio-Feature: Die Hippie-Hools vom Gezi-Park

Anlässlich des zweiten Jahrestages von Occupy Gezi das Radio-Feature Die Hippie-Hools vom Gezi-Park von Ralf Heck, James Steen und Bob Dilan für footballuprising.


Das Feature kann man auch hier direkt anhören, ohne Soundcloud.

D 2015 –  footballuprising – 14 Min.

Sommer 2013: Zehntausende Fußballfans der unterschiedlichen Klubs schließen sich dem Aufstand in der Türkei an: Die Supportergruppe Çarşı von Beşiktaş Istanbul vereinte sie in einer Demonstration gegen das Erdoğan-Regime – der größten, die während des Gezi-Park-Aufstandes stattfand.

Sommer 2015: Gegenwärtig sitzen 35 Mitglieder von Çarşı auf der Anklagebank aufgrund ihrer Beteiligung an der Revolte im Sommer 2013. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen Bildung einer kriminellen Vereinigung und Putschversuch vor. Lebenslänglich Knast droht ihnen bei einer Verurteilung. Doch welche Rolle spielte Çarşı bei den Protesten? Wie ticken ihre Mitglieder? Wurde der Aufstand einzig von einer brutal agierenden Polizei niedergeschlagen oder scheiterte er nicht vielmehr auch an den inneren Widersprüchen der Bewegung?

Diese und noch weitere Antworten liefert das folgende Feature.

Links zum Thema:
Artikel: Die Hippie-Hools vom Gezi-Park → footballuprising
Interview: Çarşı – Wir sind gegen Alles → footballuprising
Fotos: Gezi-Park-Revolte, Istanbul, Juni 2013 → footballuprising

Die Hippie-Hools vom Gezi-Park

Links zum Thema:
Çarşı – Wir sind gegen Alles → footballuprising
Fotos: Gezi-Park-Revolte, Istanbul, Juni 2013 → footballuprising

Von Ralf Heck (Text und Fotos)

Lebenslänglich Knast wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung und Putschversuchs. So lautet zumindest die aktuelle Anklage der unter den Fittichen des Erdoğan-Regimes stehenden Staatsanwaltschaft gegen 35 Mitglieder der Istanbuler Supportergruppe Çarşı aufgrund ihrer Beteiligung an der Gezi-Park-Revolte im Sommer 2013. Und sie stellen damit keine Ausnahme dar. Durch die mehr als 90 eingeleiteten Verfahren, in denen knapp 6000 Menschen – teils unter abstrusen Vorwürfen bis hin zu „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ – angeklagt wurden, folgt die Rache eines autoritären Systems auf die wochenlang andauernden Proteste nicht unbedeutender Teile der Gesellschaft.

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Besonders die Verfahren gegen Aktivisten des Protest-Koordinationsrates der Taksim-Solidarität und von Çarşı können dabei durchaus als geschickter Schachzug der Regierung gewertet werden, die diesen allgemein-gesellschaftlichen Aufstand, an dem sich mehr als eine Million Menschen beteiligten, so zum Werk einer putschistischen Bande von Verschwörern umzudeklarieren versucht. Ursprünglich als Unterstützergruppe für den Verein Beşiktaş Istanbul gegründet, steht diese Fanvereinigung, zumindest nach 1993, für weit mehr, als man es gemeinhin von Fußballanhängern erwarten würde. Seit vielen Jahren sind sie fester Bestandteil der 1. Mai-Demonstrationen, kritisieren den Rassismus in der türkischen Gesellschaft, standen den Erdbebenopfern in Izmit wie auch den Bergarbeitern beim Grubenunglück in Soma tatkräftig zur Seite und melden sich auch in anderen Angelegenheiten immer wieder lautstark zu Wort, beispielsweise gegen Tierversuche, Frauenunterdrückung, den Irak-Krieg und Atomenergie. Aufgrund des eingekreisten „A“ in ihrem Namen werden sie fälschlicherweise auch immer wieder als Anarchisten tituliert, doch obwohl sich ein nicht unbedeutender Teil tatsächlich so definiert, ist das politische Spektrum wesentlich breiter gefächert, was sich dann auch deutlich in ihrem Schlachtruf zeigt, den die einen mit „Wir sind gegen alles!“ angeben, ein anderer, größerer Teil jedoch um den Zusatz „Alles außer Atatürk“1 ergänzt. Ein Çarşı-Ultra beschreibt die politische Haltung wohl am besten: „Wir sind die einzigen sozialdemokratischen Anarchisten der Welt“.

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Çarşı – Wir sind gegen Alles

Links zum Thema:
Fotos: Gezi-Park-Revolte, Istanbul, Juni 2013 → footballuprising
Update 02.01.2015 Die Hippie-Hools vom Gezi-Park → footballuprising

Von Ralf Heck (Interview und Fotos)

Das folgende Interview mit Cem von Çarşı wurde am 12. Juni 2013 in Istanbul während des Gezi-Park-Aufstandes geführt und in Blickfang Ultra 29 veröffentlicht.

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1. Die Gruppe

Hallo Cem. Stell’ Dich doch mal kurz vor.
Ich bin Beşiktaş-Fan und gehe seit 1989 jedes Wochenende ins Stadion. Ich war auch bei allen Auswärtsspielen, aber mittlerweile bin ich 40 Jahre alt und etwas ruhiger geworden. Ich bin immer in der Kerngruppe gewesen, gehöre nun aber schon zur zweiten Generation von Çarşı.

Wie fing das an mit Çarşı?
Çarşı wurde von etwa 30 bis 40 Leuten im Jahre 1982 gegründet. Sie kamen alle aus Beşiktaş. Einer davon war Optik Mehmet. Optik war sein Spitzname, sein richtiger Name lautet
Mehmet Işıklar. Er ist 2007 gestorben, was mich immer noch sehr traurig macht. Er war ein Linker und politisch sehr engagiert und er war Lehrer. Er ist ziemlich berühmt gewesen. Jeder in der Türkei, auch die Anhänger anderer Mannschaften, kannten ihn. Ja, so ist das Leben, aber Çarşı lebt noch weiter. Das ist eine Idee, die wir von ihm gelernt haben. Ziel der Gründung von Çarşı war es, das Team zu unterstützen und gegen andere Fans, vor allem gegen solche aus Vereinen wie Fenerbahçe und Galatasaray, vorzugehen.

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