Der Fussball im Korsett des Staats

Von Tages Anzeiger

Die Turbulenzen in der Türkei beeinflussen auch den Transfermarkt. Und sie sorgen für einen Schulterschluss der ansonsten verfeindeten Fans.

Eine proaktive Zukunftsplanung ist neuerdings auch über Facebook möglich. Mario Gomez zeigte dies mit seinem jüngsten Eintrag: «Einzig und allein die schrecklichen Geschehnisse der letzten Tage», schrieb der deutsche Stürmer, ­hätten dazu geführt, dass er nicht mehr in die Türkei zu ­Besiktas Istanbul zurückkehren will. Als Grund nennt er «die politische Situation». Der Putschversuch, der IS-Terror, der Kurdenkonflikt, all das verunsichert. Andere Fussballer fühlen ähnlich: Blerim Dzemaili wechselte von Galatasaray zu Bologna, Robin van Persie will ebenfalls weg, und Max Kruse überlegt sich seinen praktisch ­fixen Transfer zu Galatasaray nochmals.

Gomez’ Entscheid ist ein unüblich politisches Signal in einer Welt, in der man Dinge wie Sport und Politik gerne trennt. In der Türkei aber gehören sie untrennbar zusammen. Die Politik hat den Fussball infiltriert. Über den Verband, über die Clubs, über die Fans.

Das Kalkül dabei ist offensichtlich: Wer in der Türkei den Weg in die Herzen der Menschen sucht, der macht das gerne über das Spiel mit dem Ball. Fussball wird in der Türkei mit einem Fanatismus begleitet, der selbst im fussballbegeisterten Westeuropa unerreicht ist.

Erdogan mit fremdem Schal

Als etwa im April das neue Stadion von Besiktas eingeweiht wurde, jonglierte Präsident Recep Tayyip Erdogan auf dem Rasen, gemeinsam mit hochrangigen Politikern und Clubfunktionären. Er stand im Fokus, er liess sich mit Besiktas-Fanschal ablichten. Nur hatte das zwei Makel. Erstens: Erdogan ist ­Mitglied des Stadtrivalen Fenerbahce. Zweitens: Die Fans waren von der Zeremonie ausgeschlossen, «aus Sicherheitsgründen», wie es hiess. Die Anhänger munkelten, Erdogan habe der Häme ausweichen wollen, die er bei der Eröffnung der Arena von Galatasaray fünf Jahre zuvor hatte erleben müssen: Er wurde gnadenlos ausgepfiffen.

«Die Zeremonie widerspiegelt den Drang von Erdogan, den Sport für die eigene Glorie zu manipulieren», sagt James Dorsey, Co-Direktor der Universität Würzburg für Fankultur. «Er will den Fussball kontrollieren, wie er dies auch mit anderen Bereichen der Gesellschaft wie Kultur oder Bildung macht.»

Tatsächlich ging Erdogan mit der Fussballwelt auf Konfrontationskurs: Er verbot etwa politische Parolen im ­Stadion (was nicht eingehalten wird), er führte einen Fanpass ein (was Datenschützer beunruhigt), er liess 35 Fans verhaften (was aus rechtlicher Sicht sehr fragwürdig war).

So etwas wie ein Wunder

Doch der Reihe nach: Als 2013 im Istanbuler Gezi-Park die Protestbewegung gegen die Regierung erwachte, solidarisierten sich Fussballfans mit den Demonstranten. Ja es geschah so etwas wie ein Wunder. Die Ultras der verfeindeten Clubs Galatasaray, Fenerbahce und Besiktas vereinten sich und führten die Proteste an. Mit dabei: die Carsi, eine Ultragruppe von Besiktas. Gewohnt im Umgang mit Staatsgewalt, schirmten sie die Demonstranten vor Polizisten ab. An strategischen Punkten platzierten sie Wassercontainer, um darin Tränengas-Granaten zu neutralisieren. Sie behändigten gar einen Bagger und wollten einen Wasserwerfer abdrängen.

Doch die politisch links stehende Carsi ist mehr als eine Fangruppierung. Sie engagiert sich in ihrem Stadtteil und unterstützt sozial Bedürftige. Sie tritt ein im Kampf gegen Rassismus und Faschismus. Ihr Emblem ist das umrundete A, das für Anarchie steht.

Die Fans werden überwacht

Der «New Yorker» schrieb einmal: «Die Fankurve von Besiktas ist der einzige Ort, wo das Armenien-Problem gelöst ist.» Obwohl die Gezi-Proteste scheiterten, bemerkten die Fans ihre gesellschaftspolitische ­Relevanz – nur merkte dies auch Erdogan. Er nannte die Ultras ­«Capulcu», das Pack, und drängte auf den Gesetzesartikel 6222. Er erlaubt dem Staat, die Fans zu kriminalisieren und zu überwachen. 35 Carsi-­Ultras wurden verhaftet und ­wegen Terrorismus angeklagt – mangels Beweisen aber freigesprochen.

Weiter führte der Staat den Fanpass «Passolig» ein. Es handelt sich um eine Kombination aus elektronischem Ticket und Kreditkarte. Bei der Registrierung wird der Fan gezwungen, eine Unzahl von Daten anzugeben und einen zehnjährigen Vertrag mit der Bank ­Aktifbank abzuschliessen. Der Zufall will es, dass Erdogans Schwiegersohn der Besitzerholding der Bank vorsteht, selbstverständlich ist er Politiker der Regierungspartei AKP.

Die AKP politisiert Clubs

Die AKP hat den Fussball in den vergangenen Jahren Schritt für Schritt unterwandert. «Sie merkte, dass sie bei grossen Clubs kaum Einfluss ausüben kann, also gründet und unterstützt sie kleinere Vereine», sagt Harald Aumeier, ein ­Fussballblogger in der Türkei.

Die Partei politisiert die Clubs. Sechs Erstligaclubs werden enge Verstrickungen zur Regierungspartei nachgesagt. Kasimpasa Istanbul spielt in einem Quartier, in dem 80 Prozent der Leute AKP wählen. Beobachter sagen, der ­Verein sei in den letzten Jahren massiv mit begehrten Grundstücken mitten in Istanbul unterstützt worden. Das neue Stadion trägt einen bekannten Namen: das Recep-Tayyip-Erdogan-Stadion.

Es ist in der Türkei gang und gäbe, dass Stadtverwaltungen Fussballclubs betreiben – etwas, das sie zwar schon vor Erdogan gemacht haben, doch sie machen es noch fokussierter.

«Wir sind alles Brüder»

Wer von der AKP-Linie abweicht, spürt das. Der kurdische Drittligist Amed SK schaffte es in dieser Saison in die ­Viertelfinals des türkischen Cups. Sein bester Spieler Deniz Naki widmete den Erfolg auf Facebook den Todesopfern der Kurdenkrise. Der türkische Fussballverband empfand dies als ideologische Propaganda und sperrte Naki für 12 Spiele – Rekordstrafe. Dem Viertelfinal gegen Fenerbahce durften die Fans von Amed nicht bewohnen. Wegen politischer Parolen. Nun, Verbandspräsident Demirören gilt als Weggefährte der AKP.

Bei den Fans scheint der Putschversuch aber zu einem Schulterschluss geführt zu haben. Letzte Woche plädierten Besiktas-Anhänger für eine Aufhebung des Gästefanverbots in den Stadien. Im Stile von: Wir sind alles Brüder.

Quelle: Tages-Anzeiger, 27. Juli 2016

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