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RB-DEBATTE: KOMMENTAR UND ANTWORT → footballuprising
Leipzig-Fans gelten als treudoofe Hörige von Red Bull. Doch eine kleine Ultra-Gruppe hört nicht auf, Widerstand zu leisten. Sie kämpft gegen die Verbullung des Vereins.
Auswärtsbanner Lecrats | © Lecrats
Fast hat man sich bei Partien von RB Leipzig schon an die Proteste gewöhnt. Diesmal erklärten die Macher des Nürnberger Ultra-Fanzines Yabasta das Gastspiel des FCN am 27. Spieltag zu “einem Tiefpunkt”, weil Red Bull den Fußball kaputtmache und verrate.
Die Kritiker aus Franken denken und sagen, was viele Fans denken und sagen. Aber sie müssen sich auch den Vorwurf gefallen lassen, etwas pauschal zu urteilen, indem sie sämtliche RB-Anhänger als treudoofe Erfolgshascher abwatschen. Tatsächlich hat sich in Leipzig eine kleine Szene entwickelt, die den Klischees vom “Konzern-Gefolge” widerspricht, sich an den antikommerziellen Werten der Ultra-Kultur orientiert und das Engagement von Red-Bull kritisch begleitet.
Ostersonntag, Red-Bull-Arena. Mit rund 15 Mitstreitern, darunter zwei Frauen, hat sich Tommes zwei Stunden vor Anpfiff am Parkplatz des Stadions versammelt. Hubschrauber brummen, man trinkt Bier oder Cola und fachsimpelt. Der 30-Jährige, sportliche Figur, kurze dunkle Haare, gehört als Mitglied der Lecrats zu den Stimmungsmachern im Sektor B, Block 27. Das “Le” steht für Leipzig, “cra” für crazy und “rats” für Ratten. Damit machen sie sich über die von RB-Hassern häufig genutzte Beleidigung lustig. “Schließlich sind wir auch wie Ratten”, sagt Tommes, der in einer Kleinstadt bei Leipzig lebt, mit einem Grinsen. “Wir sind ein Kollektiv und einfach nicht unterzukriegen.”
RB braucht eine lebendige Kurve
Gut 50 Fanclubs bekennen sich zur Leipziger Red-Bull-Filiale, der Fanblock schöpft seine 4.000er-Kapazität immer häufiger aus, der Zuschauerschnitt von 25.290 ist der viertbeste Wert der Liga. Knapp vor dem FC St. Pauli und deutlich vor 1860 München, zwei Traditionsvereinen. Rund 150 bis 200 Personen werden zur aktiven Szene gezählt. Sie formiert sich bei Red Aces, Castrum Lipsia, Mythos LE und den Lecrats.
Gegen 12 Uhr strömen sie in die Arena, hängen ihre Banner an die vorgegebenen Plätze der Betonmauer, während sich die fast komplett rot gekleideten Clubberer im Gästeblock sammeln. “Wir leben wie Ultras und teilen den Grundgedanken der Bewegung”, sagt Tommes, “aber auf die Bezeichnung legen wir keinen Wert.” Für Spiele am Montag nimmt er sich Urlaub, arbeitet an Choreografien mit, nach den Spieltagen kommt selten mehr als ein heiseres Krächzen aus seinem Hals. Lautstark, kreativ und dauerhaft soll der Support der Lecrats sein. Einen festen Dresscode gibt es bis auf den grün-weißen Schal mit dem Gruppennamen nicht. Auf der Haupttribüne scheint man wenig über die Ultras zu wissen. “So was gibt es hier?”, fragt ein Besucher aus Taucha.
Ihr Wertekanon ist von der Idee des Rasenballismus geprägt. Die Rasenballisten, eine fanclubübergreifende Interessengemeinschaft, beziehen sich auf den offiziellen Namen RasenBallsport Leipzig e.V. Sie möchten “ihren Verein nicht konsumieren, sondern leben”, wie es im Manifest heißt. Der denkende Fan gilt als Ideal, der “dem Investor dienende Quotenanhänger” mit Brausedose als Schreckgespenst. Nur mit mehr Leipziger Identität und leidenschaftlichen Anhängern könne der Club sein Image als seelenloses Marketing-Konstrukt verlieren. “Wir sind dank Red Bull im Stadion, aber nicht wegen Red Bull”, sagt Marcus von den Lecrats. “Deswegen wird es auch nie eine Red-Bull-Ultrakultur geben, sondern nur eine Rasenball-Ultrakultur.”
Das RB-Logo und die offiziellen Fanartikel lehnen sie ab, Begriffe wie Rote Bullen oder Red-Bull-Arena sind als Teil der sogenannten Verbullung des Clubs verpönt. Rasenballisten und ultraorientierte Gruppen verzichten zudem bewusst auf Vergünstigungen, die für offizielle Fanclubs gelten. Sie eint die Überzeugung, dass RB kritische Fans braucht, die sich für eine lebendige Kurve und einen besseren Verein engagieren.
Der Verein verbietet ein No-Legida-Plakat der Fans
13.30 Uhr. Schiedsrichter Sven Jablowski pfeift an. Nürnberg startet furios, kann den Ball aber nicht im Kasten von Fabio Coltorti unterbringen. Die 4.600 Fans der Franken schwenken Dutzende rot-schwarze Fahnen, ein rund 30 Meter breites “Glubb against the machine”-Banner ist der Hingucker. Später kommt eine kleinere Fahne mit Fäkalvokabular dazu. “Das große finde ich deutlich kreativer”, sagt Tommes. “Das Scheiß-RB-Banner ist legitim, aber langweilig und einfallslos.” Kumpel Marcus sagt: “Wenn Grenzen nicht überschritten werden, muss Kritik erlaubt sein.” Nürnberg führt zur Pause 1:0 und die zahlenmäßig weit unterlegenen Clubberer liegen im Duell der Kurven leicht vorne.
Das könnte dem Gegurke der RB-Elf geschuldet sein. Oder liegt es daran, dass nicht der gesamte heimische Block mitzieht? Manche stehen wohl vor allem wegen der besonders billigen Karten in Sektor B. Bei einem 0:1 wollen die Hände nicht aus der Hosentasche. Die Stimmung habe sich allerdings von Jahr zu Jahr gesteigert, meinen die Ultras.
Es sind Gegensätze wie in jedem Stadion: hier die Normalo-Fans, die in Ruhe Fußball sehen wollen, brav mitklatschen, sich manchmal von großen Fahnen gestört fühlen und mitunter fünf Minuten vor Schlusspfiff ihren Platz verlassen, um als Erster am Auto zu sein; dort die Dauersupporter, die mit Schwenkfahnen, Doppelhaltern oder Gesängen Stimmung machen.
“Ich dachte, die Nürnberger singen uns in Grund und Boden”
Und nicht nur das. Einmischen, Mitreden und Freiräume erkämpfen gehört zum Selbstverständnis vieler Ultras. Bei RB Leipzig ist das nicht anders. Manchmal mit Erfolg. Sie haben die Sitzplatzbindung im Fanblock aufgehoben und die Erhöhung der Ticketpreise verhindert. Manchmal ohne Erfolg. Wie im Mai 2014, als die Vereinsführung eine zunächst genehmigte Choreografie absagte, weil das Motiv nicht zum Saubermann-Image der Anhängerschaft passte: ein koksender RB-Anhänger, der sich unter dem Motto “Durchziehen bis zum Aufstieg” mehrere Clubembleme sowie das Logo des RB-kritischen 11 Freunde-Magazins durch die Nase zieht. Zuletzt stieß das Verbot, ein “No Legida”-Plakat aufzuhängen, auf Unverständnis bei den antirassistisch eingestellten Ultras.
Pyrotechnik und Gewalt sind in Leipzig, soweit bekannt, kein Problem. Zu den mittlerweile 40 Fans der Kategorie B (gewaltbereit, gewaltgeneigt) dürfen sich die Fan-Beauftragten nicht äußern. “Bei den Lecrats gibt es keine Leute, die zu Gewalt neigen oder sie suchen”, sagt Tommes. Selbstverteidigung sei natürlich okay. An erster Stelle stehe aber die Unterstützung der Mannschaft.
Die Unterstützung wird in Hälfte zwei besser, die Mannschaft wird besser. Yordy Reyna gleicht in der 46. Minute aus, später schießt Dominik Kaiser das 2:1. Von Capos und Trommlern animiert springt erst Block 27, dann folgen 28 und 29, die Tribüne vibriert. Die Fans besingen Daniel Frahn, ihren auf die Bank verbannten, langjährigen Kapitän und Rekordtorschützen, der sich hinterm Tor warmläuft. “Im Großen und Ganzen waren wir im Support alle schon um einiges besser”, sagt Tommes nach dem Schlusspfiff. “Ich dachte erst, die Nürnberger singen uns in Grund und Boden.”
Eine Woche später, beim Spiel in Bochum, schlägt den Leipzigern wieder die Abneigung der gegnerischen Fans entgegen. Am kommenden Montag in Kaiserslautern wird es nicht anders sein. Aber Tommes und seinen Kumpels macht das nichts mehr aus. “Auswärtsspiele sind immer am geilsten, weil da die aktive Szene zusammensteht”, sagt er. Ihre Treue sei nicht von guten oder schlechten Tagen abhängig, auch nicht von Auf- oder Abstiegen, sagen sie. Abstiege? Dass man sie weiter Erfolgsfans schimpft, das werden die RasenballSport-Ultras trotz ihrer Leidenschaft kaum verhindern können. Etwas anderes als Erfolge sind in den Kalkulationen von Red Bull nicht vorgesehen.
Zeit Online, 16. April 2015