Von Fridoline Nassauer
Während des Juni-Aufstandes in der Türkei 2013 spielte die Präsenz von Fußball-Fangruppen eine große Rolle. Sie brachten der Bewegung eine ganz spezielle Dynamik und Bewegung und Fangruppen beeinflussten sich wechselseitig. Wir haben die Fangruppe „KızılAslan“ interviewt, um zu erfahren, warum sich diese Gruppe gegründet hat und um allgemein mehr über die linke Fanszene in der Türkei zu erfahren.
„Fußball ist auf dem Feld schön, nicht an der Börse“ – Metin Kurt
Ihr habt euch vor kurzem als neue Fangruppe von Galatasaray gegründet. Interessant dabei ist, dass eure Ziele dabei über die bloße Unterstützung eures Vereins hinausgehen. Was ist der Grundgedanke, der sich hinter eurer Gruppe verbirgt?
Zwischen 1960 und 1980 gab es in der Türkei noch eine sehr starke linke Bewegung. Diese Entwicklung wurde 1980 durch den Militärputsch abrupt gestoppt.(1) Linke Aktivist*innen und Revolutionär*innen wurden damals systematisch eingeschüchtert, verfolgt und ermordet. Die türkische Linke brauchte etwa zehn Jahre, um sich von diesem Rückschlag zu erholen, bis sie wieder auf die Beine kam und wieder handlungsfähig wurde. Seitdem ist wieder ein kontinuierliches Erstarken der linken Bewegung spür- und erkennbar, nicht zuletzt seit den Gezi-Protesten im Sommer 2013. Wir sehen diese gesellschaftliche Veränderung und wollen auch in der Kurve eine Basis für diese Bewegung schaffen, um irgendwann die Früchte dessen zu ernten.
Wie gestaltet sich euer Gruppenalltag als politische Fangruppe? Zu welchen Themen äußert ihr euch und auf welche Aktionsformen greift ihr dabei zurück?
Wir sind in erster Linie eine sozialistisch und internationalistisch geprägte Gruppe von Menschen, die Galatasaray im Herzen tragen. Wir sind komplett unabhängig von irgendwelchen Parteien. Aus einer gesellschaftlichen Verantwortung heraus, nehmen wir an Demonstrationen teil, die inhaltlich die Probleme und Notstände der gesamten Bevölkerung ansprechen.
Unser erster öffentlicher Auftritt war am 22. Dezember 2013 bei einer großen Demo in Istanbul gegen die ausufernde Umstrukturierung der Stadt, welche nicht zuletzt dem Größenwahn Erdogans und der Interessen gieriger Kapitalist*innen geschuldet ist. Erdogan plündert die Stadt aus Profitgründen! Dritter Flughafen, dritte Bosporusbrücke, die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Damit gehen Umweltzerstörung, Zerstörung ganzer Stadtteile und die Vertreibung ganzer Bevölkerungsgruppen einher. Das war damals unser erster Auftritt als Gruppe, bei welchem wir mit Fahnen und Transparenten präsent waren.
Anschließend folgten Teilnahmen an Demonstrationen gegen die repressive Internet-Zensur der AKP-Regierung. Wir haben außerdem bei der feministischen 8.-März-Demonstration einen eigenen Block gestellt. Zu nennen ist auch die praktisch ausgeübte Solidarität mit den streikenden Greif-Arbeiter*innen, welche wir bei ihrem Arbeitskampf gegen die Ausbeutung durch Greif, Arbeitgeber*innenverbände und Leiharbeitsfirmen unterstützten. (2)
Wie viele Mitglieder habt ihr und wie ist eure Gruppe organisiert? Verfügt ihr über eigene Räumlichkeiten?
Der Ursprung unserer Gruppe ist im Gezi-Aufstand vergangenen Sommer zu finden. Wir waren damals vier Leute, die sich den Demonstrationen gegen die Räumung des Parks angeschlossen hatten. Mittlerweile ist der aktive Kern an Leuten, welche sich als „KızılAslan“ bezeichnen auf knapp 80-100 Personen angewachsen. Bei uns gibt es keine Mitgliedschaft im eigentlichen Sinne. Um den Kern an aktiven Personen sammelt sich ein Umfeld an „passiven Unterstützer*innen“, dessen Größe und Aktivität sichtbar zunimmt. Dies kann als Beleg dafür genommen werden, dass es eine Notwendigkeit linker Politik im Fußballstadion gibt.
Wir besitzen keine eigenen Räumlichkeiten und sind in verschiedenen Lokalen im Stadtteil Beyoğlu, welcher seit jeher als rot-gelbes Zentrum Istanbuls angesehen werden kann, organisiert. Unsere Gruppe ist basisdemokratisch organisiert, Hierarchien gibt es nicht. Entscheidungen werden durch transparente und basisdemokratische Diskussionen gefällt.
Innerhalb unserer Gruppe gibt es einen Arbeitskreis, welcher sich dem Kampf für Frauenrechte und dem Thema Antisexismus widmet. Allerdings sind diese nicht im Sinne einer klassischen Sektion organisiert. Stadion und Fankurve sind nach wie vor eine Männerdomäne, daher ist es notwendig, sich zu organisieren und diesen Zustand zu brechen. Deshalb werden wir auch an der diesjährigen 8. März-Demo mit Trommeln, Gesängen und Pyrotechnik teilnehmen, um die Frauen zu ermutigen ins Stadion zu kommen und ihnen in der Fankurve eine Stimme zu verleihen.
Könnt ihr uns einen kurzen Überblick über eure Symbolik im Bezug auf Verein und Politik geben?
In erster Linie verwenden wir den Löwen, als Sinnbild Galatasarays, sowie klassische linke Symboliken, wie z. B. den roten Stern und Che Guevara. Das offizielle Vereinslogo ist copyright-geschützt und kann von uns daher nicht verwendet werden. Dazu sollte man erwähnen, dass Galatasaray kein Verein mehr, sondern eine Aktiengesellschaft ist, welche wir entschieden ablehnen. Wir wollen keine Kunden einer AG sein, wir sind Fans, dafür kämpfen wir! Wenn wir es schaffen, unsere Werte in der Gesellschaft zu etablieren, können wir auch den modernen Fußball eher aufhalten.
Außerdem gehören zwei ehemalige Galatasaray-Spieler zu den Symboliken unserer Gruppe. Metin Kurt (3) und Metin Oktay (4). Sie sind unsere Vorbilder und unsere Liebe zu Galatasaray beruht nicht zuletzt auf ihnen.
Wenn man in Deutschland an Galatasaray und seine Fans denkt, assoziiert man diese zunächst mit „UltrAslan“. Diese spielten bei Gezi-Aufstand verschiedenen Berichten und Erzählungen zufolge eine eher unrühmliche Rolle im Vergleich zu anderen Fangruppen wie beispielsweise „Çarşı“, da „UltrAslan“ die gesellschaftliche Tragweite des Protests nicht mittrug und auf die unpolitische Haltung ihrer Gruppe pochte. Wie steht ihr dazu und wie ist euer Verhältnis heute?
Wie ich waren auch viele andere heutige „KızılAslan“ ursprünglich bei „UltrAslan“ organisiert. Wir nahmen auch damals schon an politischen Aktionen teil, wie auch bei der Gezi-Park-Besetzung und den damit verbundenen Demonstrationen und Ausschreitungen, nicht jedoch als „UltrAslan“. Von Seiten der Führungsriege und dem Gros der Gruppe gab es eine Distanzierung von der Bewegung und etwaigen Solidarisierungen mit den Fans von Besiktas oder Fenerbahce.
Dort wurde uns offen vor Augen geführt, was bei „UltrAslan“ in unseren Augen schief lief und so ist uns die Notwendigkeit der Entstehung einer linken Gruppe deutlich geworden. Das war für uns der Antrieb diese Gruppe zu bilden und in das bestehende Loch politischer Inaktivität hineinzustoßen. Wir befinden uns seither in einem durchaus verfeindeten Verhältnis, auch wenn es bisher keine Kämpfe zwischen den Gruppen gab, was sich aber auch jeden Tag ändern könnte, da wir auch offen angefeindet und niedergepfiffen wurden, als wir z. B. versuchten in der 34. Minute die symbolischen „Her yer Taksim, her yer direniş!“-Rufe (5) zu etablieren, um der Stärke und Geschlossenheit unserer Bewegung auch im Stadion nochmal Ausdruck zu verleihen. Nicht unerwähnt bleiben sollte das Alleinstellungsmerkmal von „UltrAslan“, welche vom Verein als führende Fangruppe akzeptiert sind und damit verbunden viele Privilegien bzgl. Kartenvergabe und Fanartikelvertrieb genießen, was uns natürlich zu potentiellen Konkurrenten macht.
Wie gestaltet sich euer Verhältnis zu Besiktas und Fenerbahce? Traditionell gilt das Verhältnis der drei Vereine untereinander als schwer verfeindet, dennoch war zuletzt gar von einer politischen Zusammenarbeit von Fangruppen der drei Vereine als „Istanbul United“ zu hören. Habt ihr solche Bündnisse, wenn ja mit wem und wie kann man sich die Zusammenarbeit vorstellen?
Als Galatasaray-Fans hassen wir Fenerbahce natürlich von klein auf. Im Stadion und während der 90 Minuten gibt es für uns nur Galatasaray! Dennoch können wir hier an dieser Stelle exemplarisch die Gruppe „Sol Acik“ von Fenerbahce hervorheben. Mit diesen verstehen wir uns als Gesinnungsgenoss*innen und laufen auch gemeinsam auf Demonstrationen. Es findet auch ein reger Gedankenaustausch zwischen den zwei Gruppen statt.
Wie seht ihr allgemein die Rolle der Fußballfans als politische Kraft? Ihr seid als Fans ja regelmäßig Repressionen ausgesetzt. Könnt ihr uns etwas darüber erzählen und wie kämpft und organisiert ihr euch dagegen?
Wir sind mit verschiedenen Fanszenen in Kontakt und vernetzen uns mit diesen. Wir agieren aber weiterhin als Gruppe eigenständig innerhalb unserer Fankurve. Dennoch wird es zwischen diesen linken Gruppen immer eine gegenseitige Solidarität und Unterstützung geben. In der Türkei werden zur neuen Saison neue Fangesetze eingeführt. (6) Die Fankultur wird durch das E-Ticket zerstört werden. Außerdem findet eine weitere Zensur statt, da z. B. auch politische Parolen verboten werden sollen. Gegen die neuen Gesetze haben wir bereits einige Aktionen geplant. (7)
Verfolgt ihr auch das Kurvengeschehen in Deutschland? Die „UltrAslan“-Problematik gibt es hierzulande auch in einer entfernteren Art und Weise. So werden linke Gruppen beispielsweise in Aachen und Braunschweig durch einen kruden Zusammenschluss rechter bzw. rechtsoffener und unpolitischer Hools & Ultras in „politophober“ Manier aus dem Stadion gedrängt, da die linken Gruppen angeblich zu viel Politik ins Stadion bringen würden. Was denkt ihr darüber und inwiefern kann man das mit der Situation in der Türkei vergleichen?
Diese Problematik kennen wir, aber die Situationen sind überhaupt nicht miteinander zu vergleichen. Es gibt zwar dieselbe unpolitische Agitation gegen Linke, aber so ein Problem mit Politik im Stadion an sich, gibt es nicht, weil die Gesellschaft insgesamt sehr politisiert ist. Vorwürfe wie, wir missbräuchten den Fußball, gibt es kaum. Auch wenn die Situation in Deutschland ist, wie du es beschreibst, bzw. genau deshalb sollten sich die linken Fans in Deutschland mehr organisieren und sich auch trauen, die Gefahren, die das mit sich bringt, in Kauf zu nehmen. Ihr erlebt auch tagtäglich starke staatliche Repressionen. Wir haben auch mit vier Leuten angefangen, ihr könnt etwas bewegen! Wie hat Che Guevara schon gesagt? „Es ist nicht einfach nur ein Spiel, es ist eine Waffe der Revolution!“
-Interview, Übersetzung, Anmerkungen Fridoline Nassauer
Anmerkungen
1 Am 12 September 1980 putschte das Militär unter General Kenan Evren zum dritten Mal in der Türkei. Der Putsch wurde von der NATO und den USA direkt oder indirekt unterstützt. Die NATO stationierte anschließend schnelle Eingreiftruppen im Herzen Kurdistans, in Van und Batman. Evren begründete den Putsch damit, “zu den Quellen des Kemalismus zurückzukehren” zu wollen und “die separatistische Umtriebe zu bekämpfen”.
Das Militär verhängte über das Land das Kriegsrecht und verbot alle politischen Parteien. Die Regierung wurde des Amtes enthoben, Gewerkschaften, Vereine und Stiftungen wurden verboten und ihre Funktionäre wurden vor Gericht gestellt. Das Militär versuchte die Gesellschaft der Türkei durch Säuberungsaktionen in staatlichen Institutionen zu entpolitisieren. 30.000 Menschen sollen davon betroffen gewesen sein. Der Putsch richtete sich grundlegend gegen die aufkeimende kurdische Befreiungsbewegung und gegen die starken links-revolutionäre Kräfte. Insgesamt wurden 650.000 Menschen zu politischen Gefangenen, die meisten von ihnen gefoltert. In 210.000 Prozessen wurden 230.000 Personen vor Gericht gestellt. Es gab 7.000 beantragte, 571 verhängte und 50 vollstreckten Todesstrafen. 14.000 Personen wurden aus der Staatsbürgerschaft entlassen. 30.000 Personen flohen ins Ausland. 3.854 Lehrer und Lehrerinnen, 120 Universitätsdozenten und 47 Richter wurden entlassen. 133.607 Bücher wurden verbrannt.
2 http://www.jungewelt.de/2014/02-20/028.php?sstr=greif
http://www.jungewelt.de/2014/04-11/024.php?sstr=greif
3 Metin Kurt, der innerhalb des Istanbuler Vereins als einer der bedeutendsten Spieler der Clubgeschichte angesehen wird, war vor allem in der linken türkischen Szene äußerst beliebt. Ende 2010 waren seine lebenslangen Bestrebungen, die türkischen Spielerinnen und Spieler innerhalb einer Gewerkschaft zu vereinen, endlich erfolgreich.
4 Er war bekannt dafür dass er sehr loyal zu Galatasaray war und sich gegen die Kommerzialisierung des Fussballs eingesetzt hatte.
5 „Überall ist Taksim, Überall ist Widerstand!“
6 https://direnisteyiz.org/haber/verbote-in-fusballstadien/
7 http://lowerclassmag.com/206/
Quelle: LOWERCLASSMAG