Von Peter Bandermann
Dortmund/Berlin. In einem Zug zum DFB-Pokalfinale sangen Hooligans judenfeindliche Lieder und richteten schwere Schäden in den Waggons an. Ein Augenzeuge berichtet.
Auf der Internetseite Vice berichtet ein BVB-Fan über seine Fahrt in dem von der Fangemeinschaft Südtribüne georderten Sonderzug mit fast 900 Reisenden. Bei Vice und in diesem Bericht bleibt der Berichterstatter aus Sicherheitsgründen anonym, denn seine Aussagen führen in eine laut Bundespolizei gewalttätige Szene. Bei Google eingegeben, würde der Name des Zeugen zu dessen Privatanschrift und zu seinem Arbeitgeber führen. Deshalb nennen wir seinen Namen nicht.
Der Zeuge nannte Details, die nur ein unmittelbar betroffener Zeuge beobachtet haben kann – und er durchbrach ein ungeschriebenes Gesetz: „Es gehört dazu, dass unter Ultras Besprochenes und Erlebtes nicht nach außen dringt. Normalerweise halte ich mich auch daran. Aber die 20 bis 30 Mitglieder der Gruppe 0231 Riot haben eine Grenze überschritten“ – sie benutzten das Wort „Juden“ in ihren Gesängen als Beleidigung gegen Schalke- und Nürnberg-Fans. Auch abwertende Passagen über Homosexuelle waren zu hören. Die Täter hätten Drogen konsumiert.
Neue Hooligangruppe verantwortlich für Ausschreitungen
„0231 Riot“ oder auch „Ultras H“ – das ist eine erst 2015 entstandene Hooligan-Gruppe, die kampferprobt auftritt und bedrohlich-einschüchternd die Stimmung in einem mit etwa 200 Fans besetzten Party-Waggon der Schweizer Centralbahn beeinflussen konnte. Der Zeuge spricht von einer „aufgeheizten Stimmung”. Er selbst und auch sonst niemand habe sich getraut, einzuschreiten. Im „weniger schlimmen Fall“ werde man nur angepöbelt – „oder eben sofort angegangen“.
Der BVB-Fan erkennt ein Problem: „Den meisten geht es wie mir. Niemand sagt etwas gegen die Parolen. Eine Gegenbewegung gibt es nicht.“ Aus Angst. Immerhin: Andere Fans stimmten nicht mit in die Gesänge ein. Die Mehrheit im Zug habe die Gesänge ignoriert. 0231 steht für die Telefonvorwahl von Dortmund und „Riot“ für Randale. Die Gruppe „0231 Riot” soll von Fans mit Tätowierungen der Desperados-Ultras auf nacktem Oberkörper sowie von Kölner und Essener Fußball-Fans begleitet worden sein. Sie bildeten eine Einheit aus bis zu 30 Personen. „Man ist viel gewohnt als Fan. Das hier war die schlimmste Erfahrung, die ich gemacht habe“, sagte der Zeuge, der das Geschehen von seiner Position aus gut beobachten konnte.
Den Sonderzug hatte die Fangemeinschaft Südtribüne Dortmund organisiert. Das ist ein Zusammenschluss von mehreren BVB-Fanclubs auf der Süd. Auf eine Anfrage reagierte die Fangemeinschaft nicht. Vertragspartner des Zug-Betreibers ist The Unity. Eine Sprecherin der Centralbahn sagte, dass The Unity nicht für die Schäden verantwortlich sei. Allerdings kommen Regressforderungen auf den Vertragspartner zu.
Verletzte Bahnreisende
Laut Bundespolizei seien in dem Sonderzug 380 Ultras mitgefahren. Noch während der Abfahrt am Dortmunder Hauptbahnhof sei ein unbeteiligter Reisender auf einem Gleis durch Pyrotechnik verletzt worden. Kurz nach Ankunft in der Berliner Station „Zoologischer Garten“ habe ein BVB-Fan einen Bundespolizisten angegriffen. Bei der Abfahrt nach dem Spiel, also in der Nacht zu Sonntag, verletzten BVB-Fans unbeteiligte Reisende in Berlin durch den Einsatz von Pyrotechnik. Eine Person erlitt dabei einen Schock. In Hamm wurde ein ebenfalls unbeteiligter Bahnkunde angegriffen und verletzt.
Die Rückfahrt nach Dortmund verzögerte sich, weil unbekannte 28 Mal die Notbremse gezogen hatten. „Der Zug hatte dreieinhalb Stunden Verspätung“, so der Bundespolizeisprecher. Die Fans hätten den Sonderzug „erheblich“ beschädigt. Ein Mitreisender berichtete, dass Scheiben eingeschlagen und Feuerlöscher aus den Verankerungen gerissen wurden. Fans hätten die Toiletten nicht benutzt und in die Waggons und in Übergänge zwischen den Wagen uriniert.
Waggons fallen zwei Wochen aus
Die Schweizer Centralbahn mit Sitz in Basel lässt die Waggons in einer Eisenbahn-Werkstatt in Mönchengladbach reparieren. Zurzeit liegen Geschäftsführer Rudolf Wegemann diverse Fotos vor, die die Schäden dokumentieren. „Abschließend können wir noch nichts sagen“, sagte er. Doch schon jetzt ist absehbar, dass die Abschlussrechnung teuer werden wird – die Centralbahn kann den für die BVB-Fans eingesetzten Sonderzug zwei Wochen lang nicht einsetzen. Rudolf Wesemann: „Unsere Charterverträge sehen vor, dass der Vertragspartner für die von seinen Fahrgästen angerichteten Schäden haftet.“ Die Kaution in Höhe von 3000 Euro werde bei Weitem nicht für einen Ausgleich des Schadens reichen.
Quelle: WAZ, 26. Mai 2016