Mit Marx, Gandhi und Che: Fans von Hapoel Katamon Jerusalem im Stadion (Foto: Hapoel Katamon Jerusalem)
Von Kevin Culina
Vor rund acht Jahren gründeten Fans eines israelischen Fußball-Erstligaclubs einen eigenen, kollektiv organisierten Verein.
Die Transparente zeigen Che Guevara, Hammer und Sichel, Fans schwenken Antifa- und Regenbogenflaggen, Parolen und melodische Gesänge hallen von den Rängen. Im etwas zu großen Teddy-Kollek-Stadion im Süden Jerusalems finden sich jede Woche mehrere Hundert Unterstützerinnen und Unterstützer ein, um bei schwarzem Tee und Nüssen ihre politische Überzeugung zu zeigen und ihren Verein – ganz im Wortsinne – zum Erfolg zu singen. Das führte in der vergangenen Spielzeit zum Aufstieg in die zweite israelische Fußballliga Leumit.
Aber ganz der Reihe nach. Der israelische Sport ist geprägt von mehreren großen Verbände, die aus politischen Strömungen der zionistischen Emigrantinnen und Emigranten vor und nach der Gründung des Staates resultieren. So organisierten sich die Anhänger der sozialistischen Arbeiterbewegung überwiegend in den gewerkschaftsnahen Hapoel-Vereinen, weswegen Hammer und Sichel das Logo zieren. Die bürgerlichen Religiöseren organisierten sich wiederum bei Maccabi und die sogenannten Revisionisten in den Beitar-Vereinen. Entsprechend groß und politisch sind seither die Auseinandersetzungen der Clubs und ihrer Fans untereinander – die Wahl des Sportvereins ist schließlich oft auch eine politische. Da drängen sich neben dem Selbstverständnis des Clubs vor allem Fragen nach kollektiven Organisationsformen und konkretem Engagement außerhalb des Stadions auf.
Hapoel Katamon Jerusalem entstand im Jahr 2007 aus einem jahrelangen Streit: Der 1926 gegründete Vorgänger Hapoel Jerusalem spielte zwar in der Ligat ha’Al, der ersten israelischen Liga – doch die Fans kritisierten ab den neunziger Jahren die in ihren Augen zu kleine, autoritäre Führungsriege. Nach zahlreichen sportlichen Misserfolgen kehrten immer mehr langjährige Zuschauer dem Verein in den späten Neunzigern enttäuscht den Rücken. 2007 gründeten einige desillusionierte Anhänger dann den Verein Hapoel Katamon Jerusalem – Katamon ist der Name des Stadtteils, der seit Jahrzehnten die Heimstätte Hapoel Jerusalems ist.
Von Anfang an war die Gründung mit grundsätzlichen politischen Fragen verbunden. Die Fans – und Inhaber – des Clubs entschieden sich für eine Art Kollektiv: eine Mitgliedschaft, die Dauerkarte und damit verbundene Partizipationsmöglichkeiten im Verein sind für 1 200 Shekel (umgerechnet rund 280 Euro) im Jahr zu haben. Derzeit wird dieses Angebot von 750 Fans genutzt, Tendenz steigend. Vier von sieben Plätzen im Vorstand werden mit von der Vollversammlung gewählten Fanvertretern besetzt – so soll eine von Fans gestellte Mehrheit Macht- und Entscheidungsbefugnisse möglichst demokratisch und unautoritär verteilen. Das ist eine Lehre, die aus den letzten Jahren Hapoel Jerusalems gezogen wurde, wo sich ein Präsident lange alleine gegen große Teile der Anhängerschaft durchsetzte.
Bei Katamon soll in allen Bereichen Mitbestimmung der Fans herrschen, beispielsweise durch Scouting- oder Merchandise-Arbeitsgruppen.
Die politische Arbeit des Clubs geht über die eigene Organisierung hinaus. Es gibt Fußballprogramme, Hobby- und Fanturniere, die möglichst viele Menschen in der Stadt einbeziehen sollen. Zudem ist Hapoel Katamon der einzige Verein mit Fußballteams für Mädchen. »Wir sahen die große Notwendigkeit, palästinensische und jüdische Jungs und Mädchen zusammen spielen zu lassen«, sagt Itamar, 21jähriges Mitglied der Ultra-Gruppe »Brigade Malcha ’09«, der Jungle World. Dafür nutzen sie »Fußball als Werkzeug zur Inklusion«, denn das »Zusammenbringen von Menschen mit verschiedensten Hintergründen« sehen sie als ihr höchstes Ziel. Entsprechend richten sich die Programme des Vereins auch an körperlich benachteiligte oder finanziell schwache Einwohner der Stadt.
Ein starkes politisches Profil und viel Praxis sind auch für die »Brigade Malcha ’09« zentral. Gegründet wurde die Ultra-Gruppe zur Unterstützung der Männer-Teams im Fußball und im Basketball, der in Israel ebenfalls sehr populär ist. Die Mitglieder der Brigade Malcha verstehen sich unter anderem als antifaschistische Gruppe, die sich gegen Rassismus in der israelischen Gesellschaft stellt. Wie notwendig diese Haltung ist, bewiesen zuletzt Anhänger des Erstligavereins Maccabi Tel Aviv, die sich mit einem Spruchband mit der Aufschrift »Refugees not welcome« mit den rassistischen Demonstrationen gegen Geflüchtete, die vor allem in Europa stattfanden, solidarisierten. Dem versucht die Gruppe durch Spruchbänder, Antifa-Flaggen, Parolen und Gesänge – beispielsweise »Bella Ciao« auf Hebräisch – etwas entgegenzusetzen. Auch sorgt man dafür, dass die Kurve Woche für Woche rot leuchtet, mit Bildern von Karl Marx, Mahatma Gandhi oder Che Guevara geschmückt wird und »Yalla Hapoel!« sowie viel Gesang von den Rängen ertönt.
Es bleibt jedoch nicht bei Stadionfolklore. Als bisher einziger Verein unterstützt die Gruppe außerdem die Kampagne »Fußballfans gegen Homophobie«, die in Deutschland gegründet wurde. Es gibt schließlich einige Verbindungen, vor allem zu linksalternativen Vereinen und Fanszenen wie St. Pauli und Babelsberg. Das zeigen auch die unzähligen Sticker linker deutscher Ultra-Gruppen im Teddy-Kollek-Stadion. Engere Kontakte bestehen bisher vor allem nach Bremen. Die Ultras pflegen eine leidenschaftliche Freundschaft – jüngst zeigten Hapoel-Anhänger mit Spruchbändern ihre Solidarität mit dem inhaftierten antifaschistischen Bremer Ultra, der wegen handgreiflichen Auseinandersetzungen mit Bremer Neonazi-Hooligans verhaftet worden war (Jungle World 30/2015). Vereinsvertreter und Spieler aus Jerusalem waren aber auch schon in Bremen und besuchten Werder-Funktionäre.
Die Feindschaft zum Erstligaverein Beitar Jerusalem ist auch im Kontext antifaschistischer Kämpfe in Israel und der dortigen Fußballfanszene zu sehen. Der Verein, der ohne arabische Israelis aufläuft, und seine Fangemeinde drängen sich hier als politischer Gegner förmlich auf. Itamar nennt sie »rassistisch und faschistisch«, kritisiert deren Hooligans für ihre ausufernde Gewalt und hofft, durch Bildungsprogramme und den Sport Menschen zusammenzuführen und Vorurteile zu bekämpfen. In ferner Zukunft? Da gerät er ins Träumen: Er freue sich, Beitar in der Ligat ha’Al endlich »eine Lektion zu erteilen«. Der Schmähruf »Histadrut ist jetzt traurig« von Beitar-Anhängern nach deren Siegen im Stadt-Derby könnte fortan nicht nur ironisch auf Hapoel-Schals stehen, sondern auch im direkten Duell wahr werden.
Antifaschismus ist jedoch nicht der einzige wichtige Punkt für die Brigade Malcha. Der Kampf gegen Homophobie ist für die Fans gerade im Fußball wichtig. Regenbogenflaggen mit Hapoel-Logo zieren dementsprechend die Kurve – und werden manchmal nach einem Sieg auch von den Spielern geschwenkt, was dem Verein auch international Lob einbrachte. Seit einigen Wochen zieren auch Regenbogenflaggen mit einem kleinen Vereinslogo die Eckfahnen des Teddy-Kollek-Stadions. »Während einige Orte in Israel, vor allem Tel Aviv, sehr offen und modern sind, sind Jerusalem und die Fußballkultur ziemlich konservativ«, sagt Itamar. Gerade die sehr religiösen Communities in Jerusalem seien verantwortlich für Diskriminierung homosexueller Menschen. Wie notwendig es sei, für eine emanzipatorische Gesellschaft einzustehen, habe vor wenigen Wochen die Attacke eines orthodoxen Juden gezeigt, der mitten in Jerusalem bei der Gay Pride sechs Menschen verletzte und die 16jährige Shira Banki tötete. Dieser Anschlag wurde zwar von allen hochrangigen israelischen Politikerinnen und Politikern sowie dem Militär scharf verurteilt, war jedoch Teil einer sich zuspitzenden Serie von Anschlägen nationalistischer israelischer Siedler und ultraorthodoxer Juden. Deren rassistische und homofeindliche Ideologie wird in Israel seit Jahren von LGBTQ-Gruppen und israelischen Linken kritisiert (Jungle World 33/2015).
Ob die Hapoel-Katamon-Ultras sich als zionistisch verstehen? Da will sich Itamar nicht festlegen und verweist auf die verschiedensten Definitionen des Begriffs innerhalb und außerhalb Israels. Doch er betont: »Wir sind Israelis, wir sind Jerusalemer und Hapoel-Fans«, aktiv gegen jede Form der Diskriminierung und für ein besseres Leben für alle. Er führt aus: »Wir haben Soldaten unter den Fans, Armeeverweigerer, wir haben Palästinenser und Israelis, Männer, Frauen und Kinder. Unser Stadion ist ein Treffpunkt, wir sind offen für jeden, egal aus welchem Teil der Stadt – solange sie unsere Werte teilen.«
Sicher mag die Symbolik zwischen Kuba-Flaggen und Che etwas aus der Zeit gefallen wirken. Der Versuch, im Kleinen solidarische Strukturen zwischen Israelis und Palästinensern aufzubauen, ist gleichwohl wichtig. Während die Hamas zu einer dritten Intifada aufruft, Messerattentate fast täglich stattfinden und es zu immer offenerem internationalen Antizionismus und antisemitischer Gewalt gegen Juden kommt, mag dieser Versuch geradezu winzig wirken. Notwendig ist er allemal. Ob er über Katamon hinaus wirkt? Zweifel mögen berechtigt sein. Zu hoffen wäre es, also: Yalla, Hapoel!
Quelle: Jungle World, 22. Oktober 2015