Von Christoph Ruf
Die Auseinandersetzung nach dem Nord-Derby zwischen Bremer Hooligans und Ultras scheint eine längere Vorgeschichte zu haben und Teil einer bundesweiten Konfrontation zu sein. Ein Augenzeuge berichtet, dass am frühen Sonntagabend in unmittelbarer Nähe des „Verdener Ecks“ mehrere Personen äußerst brutal auf einen Hooligan eingeprügelt hätten.
Hooligans auf einer “Hogesa”-Demo in Hannover im November 2014. (dpa)
Offenbar handelte es sich dabei um einen Racheakt für den ursprünglichen Angriff, der nach Aussage der Polizei von „Mitgliedern der Hooligan-Szene ausgelöst“ wurde. Weitere Angaben – auch darüber, ob es sich bei dem verletzten Mann um den Sänger einer Bremer Hooligan-Band handelt – wollte die Polizei am Mittwoch nicht machen.
„Die Ultras sind zunächst ohne jede Provokation an der Kneipe vorbeigegangen, in der die rechten Hools das Spiel geschaut haben“, erinnert sich hingegen Lars P. (Name geändert), der Mitglied einer Bremer Ultra-Gruppe ist. „Es ist klar, warum sie dort angegriffen wurden: aus politischen Gründen.“ Tatsächlich hat sich die Bremer Ultra-Szene gegen Rassismus und Ausgrenzung positioniert – zum Ärger vieler Werder-Hooligans, die zum Teil seit Jahrzehnten Mitglieder der rechten Szene sind.
Hooligan-Szene im Aufwind
P. glaubt, dass die Hools mit dem Angriff auch Grenzen austesten wollten, die über Bremen hinausreichen: „Das war ein Vortasten. Die wollten sehen, ob sie es schaffen, ohne Konsequenzen eine Ultragruppe anzugreifen.“ Nicht nur in Bremen gebe es schließlich einen Konflikt zwischen eher linksgerichteten Ultras und Hooligans, die die Zeiten, in denen „Zigeunerpack“ und „Schiri, du Jude“ gängige Beschimpfungen waren, gerne weiterpflegen würden.
Seit gut 15 Jahren sind in den Stadien der ersten und zweiten Liga allerdings die Ultras die zahlenmäßig größte Gruppe in der Kurve. Seither sind offen rassistische Äußerungen in fast allen Szenen tabu – eine Haltung, die zuletzt auch der DFB würdigte, als er 2013 und 2014 Ultra-Gruppen aus Nürnberg und München mit dem „Julius-Hirsch-Preis“ auszeichnete. Konflikte mit der Hooligan-Szene sind da allerdings vielerorts unvermeidbar. Nicht alle Fußball-Schläger sind rechtsgerichtet, doch häufig gibt es große Überschneidungen zwischen der Hool- und der Neonaziszene.
>> Kommentar zur Hooligan-Gewalt
Spätestens seit es die aus einer Facebook-Gruppe hervorgegangenen „Hooligans gegen Salafisten“ (Hogesa) im Oktober 2014 geschafft haben, 5000 Hools für eine Demo in Köln zu mobilisieren, wähnt sich diese Szene im Aufwind. Doch das im internen Hogesa-Forum gepostete Ziel, die Mitte der Gesellschaft zu erreichen („Die Omis müssen uns lieb haben“), wurde verfehlt. Bilder von verwüsteten Innenstädten und umgestürzten Polizeiautos stießen die „Omis“ eher ab. Köln war insofern der Höhepunkt von Hogesa – und der Beginn ihres Niedergangs, der von internen Streitigkeiten noch beschleunigt wurde.
Die Abspaltung „Gemeinsam sind wir stark“ schaffte es zuletzt am 8. Februar, ein paar hundert Hools nach Ludwigshafen zu bringen. Demos in Halle, Erfurt und am vergangenen Sonntag in Karlsruhe mussten aber allesamt abgesagt werden – offenbar mangels Masse. „Möglicherweise hat die selbst ernannte Bewegung bereits ihren Horizont überschritten“, vermutet Matthias Stein, Leiter des Jenaer Fanprojekts. Ein Grund zur Entwarnung sei das aber nicht, man habe lediglich die Aktionsformen gewechselt, sagt Stein, der auf „die Pegida-Demonstrationen und ihre Ableger in West und Ost“ verweist.
Tatsächlich waren in Dresden Hunderte Hools im Publikum und im Ordnungsdienst, als der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders auf einer Pegida-Versammlung sprach. Noch eindeutiger ist die Lage bei „Legida“ in Leipzig, wo nach Angaben des Innenministeriums 300 Hooligans mitmarschierten. Bei „Cegida“ in Chemnitz mischte die Hoolgruppe „NS-Boys“ mit. Auch in Düsseldorf, Braunschweig und Karlsruhe stehen bei den Mini-Demos Hooligans an vorderster Front.
Bremer Szene “zu gefestigt”
„Die Erfahrungen, unter dem Dach von Hogesa Massen mobilisieren zu können, hat deren Selbstbewusstsein enorm gesteigert“, weiß dann auch Martin Endemann von „Football Supporters Europe“, einem Netzwerk von Fußballfans aus 45 Ländern. Auch die Mitarbeiter der über 50 deutschen Fanprojekte beobachten derzeit, ob der Machtanspruch der rechten Hooliganszene auch Auswirkungen auf das Geschehen in den Fankurven hat. In den vergangenen Monaten sind in vielen Stadien Ultragruppen von rechtsgerichteten Hooligans angegriffen worden, zum Teil – wie beim Zweitligisten Fortuna Düsseldorf – auch im Stadion.
„Wir merken jetzt die Auswirkungen der Hogesa-Mobilisierung“, sagt Robert Claus. Was Bremen anbetrifft, ist der Mitarbeiter des sportwissenschaftlichen Instituts der Uni Hannover zuversichtlich: „Zu gefestigt“ sei die Bremer Szene, als dass ein Rollback von rechts drohe. In vielen anderen Städten hätten die Hools dagegen bessere Chancen. „Die Szene will Territorien zurückgewinnen. Und das versuchen sie mit dem Mittel, das ihnen zur Verfügung steht: dem Faustrecht.“
Christoph Ruf ist Autor des Buches „Kurvenrebellen; die Ultras – Einblicke in eine widersprüchliche Szene“, Werkstatt-Verlag.
Quelle: 23. April 2015, Weserkurier