Viel mehr als Fußball

ofir1. Juli 2013: Zwei Muslime stehen seit diesem Tag nicht mehr im Kader von Beitar Jerusalem. Rechte Fans des Klubs feiern dies, überfallen zunächst einen arabischen Kellner, brechen dann ins Trainingsgelände von Beitar ein und zwingen Spieler Ofir Kriaf, eine Rauchbombe zu schwenken. Foto: Foto: imago/David Vaaknin

Von Martin Hoffmann

Jeder israelische Verein spiegelt durch seine politisch orientierten Ultragruppen die Geschichte seiner Stadt wider. Auch in Israel ist Fußball die beliebteste Sportart. Allerdings hat jeder Spitzenverein eine eigene Identität, die mit Geschichte, Politik und Religion untrennbar verbunden ist.

Tel Aviv. Mindestens in einer Hinsicht unterschieden sich die Heimspiele des israelischen Erstligisten Maccabi Haifa bis vor kurzem von denen der Teams anderer europäischer Ligen. Nach dem Spiel fanden sich kaum leere Plastikbecher auf den Zuschauertribünen, sondern die Schalen von Sonnenblumenkernen. »Das liegt nicht nur an den zahlreichen arabischen Fans von Maccabi Haifa«, erklärt Anhänger Yonatan Trius. Auch die jüdischen Fans des Klubs kauen die Kerne – eine der levantinischen Traditionen, die von den Israelis übernommen wurden.

Maccabi Haifa ist der mit Abstand beliebteste Fußballverein im Norden Israels, auch unter der arabischen Bevölkerung, die dort fast die Hälfte der Gesamtbevölkerung ausmacht. Der spektakuläre 3:0-Sieg gegen Manchester United im UEFA-Pokal 2002 verlieh der Popularität des Vereins noch einmal zusätzlichen Auftrieb. In der Ligat ha’Al, der ersten israelischen Spielklasse, hinkt Maccabi Haifa derzeit zwar hinter dem großen Konkurrenten Maccabi Tel Aviv hinterher – dennoch sind die Heimspiele in Haifa die am besten besuchten im ganzen Land.

In Sachen Zuschauerzahl kann allenfalls der Jerusalemer Traditionsverein Beitar mit Haifa mithalten. Doch die Heimspiele Beitars haben nichts mit der lässigen Koexistenz zwischen Arabern und Juden zu tun, welche die Fankultur bei Maccabi Haifa prägt. Beitar Jerusalem ist bekannt für seine rechte Fanbasis. Teile der Ultras machen immer wieder durch rassistische Ausfälle gegenüber Arabern Schlagzeilen. Ein Spiel im Teddy-Kollek Stadion, welches im Süden der Stadt gleich an der Grünen Linie zu Ostjerusalem liegt, ist selten nur ein Fußballspiel. Gerade wenn der arabische Verein Bnei Sakhnin zu Gast in der Hauptstadt ist, fliegen wüste Beschimpfungen hin und her. »Mohamed war schwul« skandieren Beitar-Ultras, »Allahu akbar« schreien Sakhnins Fans zurück.

Als einziger Verein der israelischen Liga hatte Beitar Jerusalem noch nie einen arabischen Spieler in seinem Team, auch wenn israelische Araber 20 Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes ausmachen. Als der ehemalige Präsident Arkady Gaydamak im Jahr 2013 zwei muslimische Spieler aus Tschetschenien anheuerte, gingen Teile der Ultras auf die Barrikaden. Drei junge Fans gingen schließlich soweit, einen Brand im Vereinsbüro zu legen. Die Tat brachte auch Teile des Fan-Establishments gegen die rechtsradikalen Ultras auf. Der Beitar-Fan und israelische Premierminister Benjamin Netanjahu nannte die rassistischen Ausfälle inakzeptabel. »Die Attacken sind eine Schande für uns. Das jüdische Volk soll ein Licht unter den Nationen sein«, mahnte der Premier.

Die israelische Fankultur ist selten ohne politische Assoziationen zu verstehen und nirgendwo ist diese so ausgeprägt wie in den Ultraszenen. Auf der Beitar Jerusalem entgegengesetzten Seite des Fanspektrums steht Hapoel Tel Aviv, der zweite Verein der größten Küstenstadt Israels.

Sportlich hinkt Hapoel zwar hinter dem Lokalrivalen Maccabi Tel Aviv hinterher, doch für viele israelische Linke ist der Verein die erste Adresse. Hapoel kommt aus der Tradition der hiesigen Arbeitervereine. Der Name »Hapoel« steht für »der Arbeiter« – eine Referenz an die ersten Jahrzehnte des Landes, als das sozialistische Gedankengut der zionistischen Gründergeneration noch allerorten anzutreffen war.

Der historische Gegenpol der »Hapoel«-Vereine sind die »Maccabi«-Klubs, die sich in ihrer Gründungsphase meist aus nationalistisch gesinnten Jugendgruppen zusammensetzten. Im heutigen Israel sind diese Namen in den meisten Fällen nur noch eine blasse Reminiszenz an die Vergangenheit, doch bei den Ultras von Hapoel Tel Aviv wird die sozialistische Tradition zumindest visuell noch aufrecht erhalten. Bei den Heimspielen werden Banner mit den Konterfeis von Che Guevara und Karl Marx ausgerollt. Außerdem pflegen die Ultras eine Fanfreundschaft mit den Anhängern des FC. St. Pauli und von Celtic Glasgow.

Bei den Ultras des eingangs erwähnten Klubs Maccabi Haifa wird das politische Element weniger betont. »Ganz egal wo du politisch stehst, wenn du im Fanblock stehst, wird nur eine Fahne geschwenkt – die von Maccabi Haifa«, erklärt Aviv Cohen von der Ultragruppe »Green Apes«. Im Gegensatz zu Beitar Jerusalem waren arabische Spieler und Fans immer Teil des Vereins. Der Spitzentorschütze der Vereinsgeschichte, Zahi Armeli, ist arabischer Israeli. Das wirkt sich auch auf die Fankultur bei Maccabi Haifa aus. »Einer meiner Freunde bei den Green Apes ist ein Siedler, ein anderer ist Araber – und die beiden sind miteinander befreundet. Das gibt’s nur bei Maccabi«, sagt Cohen. »Für Araber, Schwule und welche Art von Mensch auch immer, ist der Ultra-Fanblock bei Maccabi einer der entspanntesten Orte im israelischen Fußball«, so der Haifa-Fan.

In vielerlei Hinsicht sind die israelischen Vereine ein Spiegel ihrer Stadt. Die rechte Fanbasis bei Beitar Jerusalem reflektiert die angespannte Situation der Stadt selbst und die Projektionen, die auf ihr lasten – als umstrittener Zankapfel zwischen israelischem und palästinensischem Nationalismus, welcher in beiden Fällen religiös aufgeladen ist.

Der säkular geprägten Hafenstadt Haifa mit ihrer Arbeitertradition und dem großen arabischen und russischen Bevölkerungsanteil geht es in dieser Hinsicht deutlich besser. »Leute der unterschiedlichsten Herkunft und Religion haben hier immer miteinander gearbeitet und Tür an Tür gelebt. Das macht auch die Fankultur bei Maccabi aus«, erklärt Cohen.

Nur die Schalen der Sonnenblumenkerne finden sich seit Beginn dieser Saison nicht mehr auf den Zuschauerrängen in Haifa. Am Anfang der Saison zog der Verein ins erst 2014 fertiggestellte Sammy-Ofer-Stadion in unmittelbarerer Strandnähe um, welches mit einer Kapazität von 31 000 Zuschauern das zweitgrößte des gesamten Landes ist. Die meisten Fans begrüßen den Umzug ins neue Stadion, auch wenn zwei Dinge, die in der alten Sportstätte dazugehörten im neuen Stadion untersagt sind: Pyrotechnik und Sonnenblumenkerne.

Quelle: Neues Deutschland, 20. Mai 2015

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